Bürokratieabbau in Apotheken – Worum geht es?

Bürokratieabbau in Apotheken – Worum geht es?

Das größte Ärgernis im Berufsalltag von Apotheken ist Administration bzw. der bürokratische Aufwand; dieser führt zu einer sich verschlechternden Beurteilung der Arbeitsbedingungen in Offizinen. Diese schneiden gemäß Stiftung Gesundheit in keiner anderen Berufsgruppe unter den Heilberufen so schlecht ab wie bei den ApothekerInnen. Dabei geht es insbesondere um folgende (beispielhafte) Aspekte:

  • Hohe Dokumentationspflichten (wirtschaftliche Arzneimittelabgabe, Rezeptprüfung, Rabattverträge, Austausch)
  • Gefahr von und Einspruch bei Nullretax (d.h. die Kassen erstatten den Apotheken bei gewissen, z.T. kleinen Formfehlern kein Geld für die abgegebenen Arzneimittel, z.B. wenn die Dosierungsangabe fehlt)
  • Regelungen um die Importquote
  • Aktualisierung/Nivellierung der Apothekenbetriebsordnung
  • Anforderungen an Öffnungszeiten/Personalausstattung etc. (krankheitsbedingte Personalengpässe können z.B. dazu führen, dass die Öffnungszeiten verkürzt werden müssen)
  • Kompetenzen/Befugnisse des Fachpersonals (Delegation nur begrenzt möglich)
  • Notdienstreform
  • Präqualifizierung(serfordernisse)/Hilfsmittelversorgung (z.B. ist seit Februar 2023 ein elektronischer Kostenvoranschlag verpflichtend)

Beispiel: Bürokratiekosten belaufen sich auf 2 Euro je Rezept, d.h. 1 Mrd. Euro!

In einer Untersuchung vom Spätsommer 2022 hat sich der Verband innovativer Apotheken (via) den Bürokratieaufwand für die Bearbeitung von (GKV-)Rezepten genauer angesehen (Rabattverträge, Retax, Kontrolle der Rezepte etc.) und kam auf über 3 Minuten Zeitaufwand bzw. 2 Euro Kosten je Rezept. Bei über 450 Mio. Rezepten im Jahr kommen somit Bürokratiekosten für GKV-Rezepte aufseiten der Apotheken in Höhe von 1 Mrd. Euro zusammen, pro Apotheke sind es knapp 50.000 Euro.

Für die Erhebung der Retaxationssummen wurde ein Wert von durchschnittlich 6 Cent pro Rezept ermittelt (in Summe knapp 30 Mio. Euro). Ob dafür der hohe Aufwand für die Retax-Bearbeitung (‚Kontrolle der Kontrolle‘) in Relation steht, sei fraglich, so die Studienautoren. Die Krankenkassen haben dafür eigene Retax-Stellen bzw. Prüfungsinstitutionen implementiert; viele Apotheken hingegen legen keinen Einspruch ein, insbesondere wenn der Betrag gering ist, da sie den Aufwand scheuen bzw. die Zeit nicht haben.

Und was tut die Politik?

Es gibt Signale dafür, dass sich kurzfristig bei (einem Teil) der o.g. Themen auch etwas tun könnte, zumal die Regierung das Vorhaben, bürokratische Hürden abbauen zu wollen, im Koalitionsvertrag mit aufgenommen hat:

  • So sollen die pandemiebedingten Sonderregelungen, die mittlerweile auch im Rahmen der Lieferengpässe zur Anwendung kommen, verstetigt werden und Eingang in die Regelversorgung finden; leider opponieren erneut die Ärzte dagegen.
  • Positive Signale gibt es beim Themenfeld Nullretax (bei marginalen Fehlern im Rezept) sowie bei der Honorierung des Zusatzaufwands für das Management der Lieferengpässe; die dafür im Raum stehenden 50 Cent werden jedoch als viel zu gering von den Standesvertretern bewertet.
    (siehe hierzu auch Kommentar)
  • Bis Ende September 2023 will das BMG konkrete Empfehlungen zum Bürokratieabbau im Gesundheitswesen erarbeiten, so fixiert im GKV-FinStG und damit dem Versprechen aus dem Koalitionsvertrag folgen.

Standesvertreter sammeln derzeit entsprechende Vorschläge und Ideen – z.B. im Rahmen einer Arbeitsgruppe der ABDA. Interessant ist – gerade angesichts der oben angedeuteten ‚Grabenkämpfen‘ zwischen Apotheker- und Ärzteschaft – eine gemeinsame Initiative der Berufsverbände der Apotheken und der Hausärzte der KV Nordrhein, die sich für eine Entbürokratisierung in der ambulanten Versorgung einsetzt.

 

Kommentar:

In dem aktuellen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG) von Mitte Februar werden die bereits vor Weihnachten vorgestellten Eckpunkte (‚Generika-Gesetz‘) konkretisiert; demnach sollen für Arzneimittel mit einer vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelisteten kritischen Versorgungslage

  • Apotheken 50 Cent (plus MwSt.) zusätzlich für das Management der Lieferengpässe abrechnen können
  • die im Rahmen der Pandemie ermöglichten gelockerten Abgaberegelungen, wonach keine gesonderte Rücksprache mit dem Arzt erforderlich ist, verstetigt werden (z.B. Austausch in ein wirkstoffgleiches, anderes Medikament oder andere Packungsgrößen etc.); im April läuft die COVID-bedingte Sonderregelung aus; die Neuregelung schränkt jedoch die Anwendung erheblich ein, nämlich auf die o.g. künftig gelisteten Arzneien, was entsprechend den Bürokratieaufwand wieder steigen lassen dürfte. Ob bis dahin das Gesetzgebungsverfahren tatsächlich abgeschlossen ist, erscheint fraglich bzw. wenig realistisch.
  • Auf- bzw. Zuzahlungen der Patienten für die entsprechenden Arzneien werden nicht erhoben bzw. reduziert.
  • Es gelten keine Festbeträge mehr für Kinderarzneimittel, diese können auf den 1,5-fachen Preis erhöht werden (bereits aktuell gilt diese Regelung seit Ende Januar für einen vom GKV-Spitzenverband eingeführten dreimonatigen Übergangszeitraum); diese Regelung steht dabei auch offen für weitere Wirkstoffe, sofern ein Versorgungsengpass vorhanden ist.
  • Krankenkassen müssen bei der Ausschreibung von Rabattverträgen für Onkologika und Antibiotika künftig neben dem Preis auch das Kriterium ‚Anteil der Wirkstoffproduktion innerhalb der EU‘ berücksichtigen.
  • Pflicht für Generikahersteller zu einer dreimonatigen Lagerhaltung für Rabattarzneien.
  • Zudem sollen erhöhte Informationspflichten sowie ein Frühwarnsystem beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dafür sorgen, dass die Transparenz hinsichtlich knapper Versorgung mit Arzneien verbessert wird.

Die Apothekerschaft – z.B. die ABDA oder die Apothekengewerkschaft ADEXA – weist darauf hin, dass die Zusatzvergütung in Höhe von 50 Cent viel zu niedrig sei, um die entsprechende Rücksprache mit dem Arzt und oder den Großhändlern durchzuführen, zu dokumentieren, die o.g. Listen zu überprüfen, Arzneimittel zu stückeln, Vermerke auf den Rezepten zu tätigen, geänderte Zuzahlungen der Patienten zu erheben sowie den zusätzlichen Kommunikationserfordernissen gegenüber diesen nachzukommen. Der bürokratische Zusatzaufwand dürfte damit höher sein, als dass die Zusatzvergütung Entlastung bringt.

Kritik kommt auch von den Pharmaherstellern; diese weisen darauf hin, dass eine Begrenzung auf die o.g. Arzneimittel zu kurz greife, denn es gäbe auch bei anderen Grundversorgungsbereichen wie Schmerzmitteln, Herz-Kreislauf-Präparaten oder Antidepressiva immer wieder Versorgungsprobleme. Zudem – und das hatten sie im Vorfeld gefordert – fehle eine Berücksichtigung der inflationsbedingten Kostensteigerungen bei der Arzneimittelbepreisung.

Quellen:

Petra Seisl
Autor Dr. Petra Seisl
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