Deutsches Gesundheitswesen: Nachholbedarf bei der Digitalisierung

Deutsches Gesundheitswesen: Nachholbedarf bei der Digitalisierung

Das deutsche Gesundheitswesen schneidet bei der Digitalisierung im Vergleich mit anderen Ländern nach wie vor schlecht ab. Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI. Das ISI war von der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit einer Bestandsaufnahme des Digitalisierungsfortschritts des deutschen Gesundheitswesens und mit der Ableitung von Handlungsempfehlungen beauftragt worden. Die Studie untersuchte neben dem Stand von Gesetzesinitiativen zur Digitalisierung auch Datenschutz- und Cybersicherheitsaspekte. Die ausgewählten Vergleichsländer Estland, Dänemark, Spanien und Österreich dienten u.a. der Identifizierung von Innovationspotenzialen.

Identifikation der Innovationstreiber und -hemmnisse

Als zentrale Voraussetzungen für die erfolgreiche Verbreitung von E-Health-Geschäftsmodellen und digitalen Anwendungen sieht das ISI neben der technologischen Entwicklung, dem Ausbau digitaler Infrastrukturen und der gesetzlich geregelten Vergütung von E-Health-Leistungen auch ein erhöhtes Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung sowie eine stärkere Patientenbeteiligung und ‑ermächtigung. Gegenwärtig lassen sich in Deutschland folgende Barrieren identifizieren:

  • Probleme bei der technischen Interoperabilität
  • fehlende flächendeckende digitale Infrastruktur (wie 5G)
  • mangelnder Zugang zur Finanzierung
  • unzureichende Akzeptanz bei Patienten und Ärzten
  • erschwerter Zugang zu Patienten/zu wirksamen Kommunikationskanälen
  • mangelnde Kenntnis über die rechtlichen Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens

Sechs Digitalisierungsgesetze in den vergangenen vier Jahren

Innerhalb der vergangenen Legislaturperiode identifizierten die Autoren insgesamt sechs Gesetzesinitiativen des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zum Thema Digitalisierung. Im Fokus der Gesetze stand die Definition der Rahmenbedingungen für den Einsatz von Telemedizin, ePatientenakte, eRezept und Apps. Zu den wichtigsten Initiativen zählen das:

  • Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG): Definition der Inhalte der elektronischen Patientenakte und Beschleunigung der Entscheidungsprozesse durch Mehrheitsbeteiligung des BMG an Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH (gematik)
  • Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG): Anspruch der Bürger auf eine Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen
  • Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG): Umfangreiches Förderprogramm zur Digitalisierung der Krankenhäuser

Frühere Einbindung der Stakeholder erforderlich

Im Ländervergleich zeigte sich, dass die Digitalisierung in Estland, Dänemark, Spanien und Österreich dadurch unterstützt wird, dass die relevanten Akteure gleich zu Beginn der Implementierung von Digitalisierungsprozessen eingebunden werden. Hierdurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung bedarfsgerechter Lösungen und damit auch die Compliance der zentralen Stakeholder. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die wichtigsten Akteure in Deutschland der Digitalisierung positiv gegenüberstehen, sofern damit keine Beeinträchtigung ihrer Eigeninteressen droht.

Neue Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit

Mit zunehmendem Volumen an digital zu verarbeitenden Daten steigen auch die Anforderungen an den Datenschutz und -sicherheit. Als größte Defizite in Deutschland in diesem Bereich identifizierten die Autoren die fehlende Vereinheitlichung und Konkretisierungen des Datenschutzes, Unschärfen und mangelnde Definitionen bei der Zuteilung von Verantwortlichkeiten bei IT-Sicherheits- und Datenschutzfragen. So definiert z.B. die gematik die Anforderungen an die Telematikinfrastruktur und übernimmt die Kontrolle bei der Umsetzung, trägt jedoch beim Datenschutz keine Verantwortung. Bei den digitalen Gesundheitsanwendungen wiederum kritisieren die Autoren zu strenge und aufwendige Anforderungen an Datenschutz und -sicherheit, wodurch potenzielle Entwickler abgeschreckt werden können.

 

Kommentar:

Insgesamt kommen die Autoren zum Schluss, dass die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens nach jahrelanger Stagnation dank der Gesetzesinitiativen unter der Ägide des früheren Bundesgesundheitsministers Jens Spahn endlich an Fahrt aufgenommen hat. Für eine flächendeckende Verfügbarkeit nutzenstiftender digitaler Anwendungen sind jedoch weitere Anstrengungen auf Ebene der Bundesländer, des Bundes und der Europäischen Union erforderlich. Handlungsbedarf besteht insbesondere bezüglich

  • des Ausbaus einer leistungsfähigen Breitbandinfrastruktur,
  • der Entwicklung einer E-Health-Strategie,
  • der besseren Vernetzung innerhalb des gesamten Gesundheitssystems und
  • der signifikanten Verbesserung der IT-Sicherheit in den Gesundheitseinrichtungen.

Als begleitende Maßnahmen schlägt das ISI ferner ein stetiges Monitoring, die Erprobung der digitalen Gesundheitsanwendungen in Reallaboren, die Aufklärung der Bevölkerung und die Verbesserung der digitalen Kompetenzen der Gesundheitsberufe vor.

Quelle: Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI – Wie kann die Digitalisierung des Gesundheitssystems beschleunigt werden?

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