Die Nachfrage nach kostenlosen ärztlichen Angeboten hat stark zugenommen. Dies geht aus einer Pressemitteilung der Organisation Ärzte der Welt, der deutschen Sektion der internationalen humanitären Organisation Médecins du Monde (Doctors of the World), vom 29.9.2025 hervor. Demnach betreuten die sogenannten open.med-Praxen und -Behandlungsbusse der Organisation, die medizinische Hilfe für Menschen ohne Krankenversicherung anbieten, in Berlin, Hamburg und München im ersten Halbjahr 2025 insgesamt 1.199 Patienten. Das entspricht einem Anstieg von 16,5 % gegenüber dem Vergleichszeitraum 2024. In München war die Nachfrage besonders hoch: Allein im Mai wurden dort 215 Menschen behandelt – ein Plus von 33 % im Vergleich zum Vorjahr.
Der Pressemitteilung zufolge zeigt sich dieser Trend auch bei anderen Hilfsorganisationen. So verzeichneten die Malteser im Jahr 2024 in ihrer anonymen Sprechstunde einen Anstieg bei der Zahl nicht versicherter Hilfesuchender um 10 %. Ärzte der Welt gehen von einer weiteren Zuspitzung der Lage aus. Dabei beobachtet die Organisation nicht nur eine steigende Nachfrage nach ärztlicher Behandlung, sondern auch, dass der Gesundheitszustand vieler Hilfesuchender häufig besorgniserregend ist.
Kommentar:
In Deutschland besteht seit 2009 eine allgemeine Krankenversicherungspflicht. Dennoch lebt offenbar eine wachsende Zahl von Menschen hierzulande ohne Versicherungsschutz. Aktuelle Statistiken liegen nicht vor; die letzten verfügbaren Daten des Statistischen Bundesamts stammen aus dem Jahr 2019. Damals waren nach Hochrechnungen rund 61.000 Menschen ohne jegliche Absicherung im Krankheitsfall. Hilfsorganisationen gehen jedoch von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus – Schätzungen reichen von 500.000 bis zu einer Million Betroffenen.
Lücken im System: Warum in Deutschland Menschen ohne Krankenversicherung leben
Trotz der allgemeinen Krankenversicherungspflicht in Deutschland seit 2009 gibt es eine Vielzahl an Gründen, warum Menschen dennoch ohne Krankenversicherung leben:
- Fehlender Aufenthaltsstatus: Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus haben keinen Zugang zum regulären Versicherungssystem.
- Verfahrensbedingte Verzögerungen: Beim Wechsel von AsylbLG-Leistungen zum Bürgergeld können durch komplexe bürokratische Verfahren zum Teil mehrmonatige Versorgungslücken entstehen, bis die neue Leistung bewilligt ist und die rechtliche Zuständigkeit vollständig übergeht.
- Beitragsschulden: Für hochverschuldete Menschen stellen laufende Beiträge oder die Nachzahlung aufgelaufener Beitragsschulden oft eine unüberwindbare Hürde dar. Zwar gewähren gesetzliche Krankenkassen eine Kulanzzeit, doch wenn diese verstreicht, übernehmen sie reguläre Leistungen nicht mehr.
- Menschen ohne festen Wohnsitz: Menschen ohne Postadresse werden von den Behörden oft nicht erreicht.
- Mangelnde Information: Einige Selbstständige und Freiberufler wissen nicht, dass sie sich eigenständig um eine Krankenversicherung kümmern müssen.
- Rückkehrer und EU-Bürger: Nach längeren Auslandsaufenthalten oder bei vorübergehendem Aufenthalt in Deutschland können Versicherungslücken ent-/bestehen.
- Prekäre Beschäftigung und Leiharbeit: Wenn Arbeitgeber Sozialversicherungspflichten umgehen, sind Beschäftigte nicht abgesichert.
Was tun, wenn Nichtversicherte Hilfe in der Praxis suchen?
Ärzte sind verpflichtet, akute Notfälle unabhängig vom Versicherungsstatus zu behandeln, eine generelle Behandlungspflicht besteht jedoch nicht. Um Betroffene dennoch zu unterstützen, können Praxen auf gemeinnützige Hilfsangebote verweisen oder direkt helfen. In vielen Bundesländern gibt es Clearingstellen, die anonyme Behandlungs- oder Krankenscheine ausstellen. Damit ist eine Abrechnung nach GOÄ (einfacher Satz) über die jeweilige Träger- oder Clearingstelle möglich. Eine Liste der Clearingstellen nach Bundesland ist unter https://anonymer-behandlungsschein.de/ verfügbar.
Hilfe gibt es auch bei den unabhängigen, meist ehrenamtlichen und spendenfinanzierten Anlaufstellen, die kostenlos und anonym medizinische Versorgung vermitteln. Unter https://medibueros.org/ findet sich neben einer Karte ein Verzeichnis sogenannter Medinetze und Medibüros in Deutschland. Unterstützung leisten neben großen Trägern wie Ärzte der Welt e. V., Malteser Hilfsdienst, Diakonie, Caritas oder AWO auch kleinere Initiativen und einzelne Praxen. Informationen für Betroffene gibt es z. B. unter https://streetworkplus.de/krankenversicherung/fehlende-krankenversicherung-wer-behandelt-kostenfrei#c1751.
Quellen: