Erstentwurf Lieferengpassgesetz vorgestellt

Erstentwurf Lieferengpassgesetz vorgestellt

Eigentlich sollte es noch 2022 als ‚Generika-Gesetz‘ unter den Weihnachtsbaum gelegt werden, nun ist verspätet ein entsprechender Gesetzesentwurf mit dem sperrigen Namen ‚Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG)‘ im Februar 2023 vom Bundesgesundheitsministerium vorgelegt worden.

Ziel des Gesetzes ist die Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und die Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln. Demnach sollen für Arzneimittel mit einer vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gelisteten kritischen Versorgungslage

  • Apotheken 50 Cent (plus MwSt) zusätzlich für das Management der Lieferengpässen abrechnen können.
  • Die im Rahmen der Pandemie ermöglichten gelockerten Abgaberegelungen, wonach keine gesonderte Rücksprache mit dem Arzt erforderlich ist, sollen verstetigt werden (z.B. Austausch in ein wirkstoffgleiches, anderes Medikament oder andere Packungsgrößen etc.); der Gesetzesentwurf beschränkt deren Anwendung jedoch erheblich, nämlich auf die o.g. künftig gelisteten Arzneien.
  • Auf- bzw. Zuzahlungen der Patienten für die entsprechenden Arzneien werden nicht erhoben bzw. reduziert.
  • Es gelten keine Festbeträge mehr für Kinderarzneimittel, diese können auf den 1,5-fachen Preis erhöht werden (bereits aktuell gilt diese Regelung seit Ende Januar für einen vom GKV-Spitzenverband eigeführten dreimonatigen Übergangszeitraum); diese Regelung steht dabei auch offen für weitere Wirkstoffe, sofern ein Versorgungsengpass definiert ist.
  • Krankenkassen müssen bei der Ausschreibung von Rabattverträgen für Onkologika und Antibiotika künftig neben dem Preis auch das Kriterium ‚Anteil der Wirkstoffproduktion innerhalb der EU‘ berücksichtigen.
  • Für Generikahersteller soll eine Pflicht zu einer dreimonatigen Lagerhaltung für Rabattarzneien eingeführt werden.
  • Zudem sollen erhöhte Informationspflichten sowie ein Frühwarnsystem beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dafür sorgen, dass die Transparenz hinsichtlich knapper Versorgung mit Arzneien verbessert und frühzeitig erkannt wird.
  • Kommen Hersteller ihren Meldepflichten (hinsichtlich der Bestände oder den Bezugsquellen der Wirkstoffe) nicht nach, werden Bußgelder verordnet.

Lautstarke Kritik aus der Apothekerschaft

Die Apothekerschaft – z.B. die ABDA oder die Apothekengewerkschaft Adexa – weisen darauf hin, dass die Zusatzvergütung in Höhe von 50 Cent viel zu niedrig sei, um die entsprechende Rücksprache mit dem Arzt und oder den Großhändlern durchzuführen, zu dokumentieren, die o.g. Listen zu überprüfen, Arzneimittel zu stückeln, Vermerke auf den Rezepten zu tätigen, modifizierte Zuzahlungen der Patienten zu erheben sowie den zusätzlichen Kommunikationserfordernissen gegenüber diesen nachzukommen. Die ABDA kalkuliert, dass eine kostendeckende Vergütung bei 21 Euro liegen müsste. Gemäß Gesetzentwurf gelten die Regelungen zudem nur für jene verschreibungspflichtigen Arzneien, die nicht auf der o.g. BfArM-Liste stehen, also z.B. nicht für die knappen Schmerz- und Fiebersäfte für Kinder. Die Pauschale ist zudem auch dann nicht vorgesehen, wenn die Darreichungsform geändert wird oder eine Anfertigung in der Rezeptur erfolgt.

Ähnliche Kritik kommt von den Pharmaherstellern; eine Begrenzung auf die o.g. Arzneimittel greife zu kurz, denn es gäbe auch bei anderen Grundversorgungsbereichen, wie Schmerzmitteln, Herz-Kreislauf-Präparaten oder Antidepressiva, immer wieder Versorgungsprobleme. Zudem – und das hatten die Verbände im Vorfeld gefordert – fehle eine Berücksichtigung der inflationsbedingten Kostensteigerungen bei der Arzneimittelbepreisung. Eine ‚subventionierte‘ Rückholung von Produktionskapazitäten aus dem Ausland nach Deutschland, wie es die Politik in der Vergangenheit mehrfach gefordert hat, hingegen findet der Branchenverband wenig sinnvoll; aus deren Sicht verständlich, da die Mitgliedsfirmen die ‚günstigen‘ ausländischen Produktionsstandorte nicht unbedingt aufgeben werden wollen.

Deutschland besonders betroffen

In einer Studie (veröffentlicht im Januar 2023) weist der Verband forschender Arzneimittelhersteller vfa darauf hin, dass die Lieferproblematiken in Deutschland signifikant über den Niveaus der anderen europäischen Länder liegen. So gaben im Sommer 2022 85% der hiesigen Pharmaunternehmen an, von Lieferengpässen betroffen zu sein, während es im europäischen Durchschnitt weniger als die Hälfte waren. In Spanien, Italien, Frankreich waren nur etwa ein Fünftel der Branche betroffen; ein Indiz dafür, dass die Probleme nicht (nur) vor dem Hintergrund der globalen Gemengelage zu sehen ist, sondern auch eine ‚hausgemachte‘ Ursache haben, z.B. was die nationale Preis- und Beschaffungsstrategie anbelangt.

Selbst die Kassenärztliche Bundesvereinigung spricht sich für eine Umstellung auf Mehrpartnermodelle (statt exklusiver Rabattverträge mit einzelnen Herstellern) aus.

Entsprechend zu begrüßen sind die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Maßnahmen, die Exklusivität von Rabattverträgen zu hinterfragen bzw. die Kriterien zu erweitern.

 

Kommentar:

Für 82% der Apothekeninhaber zählten 2022 Lieferengpässe zu den größten Ärgernissen des Berufsalltags (Quelle: Apothekenklimaindex 2022). Gemäß einer Erhebung der PGEU (Pharmaceutical Group of the European Union), das ist der europäische Interessenverband öffentlicher Apotheker, beklagen nahezu alle Apotheken (97%) in den 29 teilnehmenden Ländern finanzielle Einbußen als Folge der Lieferengpässe. Der wöchentliche zeitliche Aufwand, den das Personal für Lieferengpässe aufwendet, betrug demnach durchschnittlich 6 Stunden und 40 Minuten, 2021 waren es mit 5 Stunden und 20 Minuten noch deutliche weniger.

Etwa 600 Erstmeldungen zu Arzneimittel-Lieferengpässen, und damit so viele wie nie in den letzten Jahren, gab es im vergangenen Jahr zu verzeichnen; aktuell – Stand 20.3.2023 – sind es noch immer 428. Versorgungsengpässe bestehen/bestanden insbesondere bei Schmerzmitteln, Fiebersäften, Antibiotika, Cholesterinsenkern sowie onkologischen Arzneien.

Damit haben die Lieferengpässe – neben Bürokratie und Fachkräftemangel – die Pandemiethemen im Alltag von Apotheken längst abgelöst. Wichtig ist den Standesvertretern jedoch die Fortführung der pandemiebedingten Sonderregelungen, da ein Teil derselben u.a. auch die erleichterte Ausgabe und den Ersatz nicht lieferbarer Arzneien ermöglichte. Im April laufen diese jedoch aus. Nachdem bis dahin das Gesetzgebungsverfahren nicht abgeschlossen sein dürfte, haben sich die Koalitionäre mittlerweile anderweitig beholfen: Gemäß Beschluss des Gesundheitsausschusses des Bundestags sollen die COVID-bedingten Sonderregelungen nun auch nach Ostern bis Ende Juli 2023 Bestand haben; d.h. auch ohne Rücksprache mit dem Arzt dürfen Apotheken von den Verordnungen im Falle eines nicht lieferbaren Arzneimittels abweichen. In diesen Fällen wird es keine Retaxationen geben. Geregelt werden soll dies im sogenannten Gesetz zur Neustrukturierung der Unabhängigen Patientenberatung (UPD), welches vom Bundestag beschlossen wurde und jetzt nur noch den Bundesrat (voraussichtlich am 31. März) passieren muss.

Siehe auch News vom 8.12.2022

Quellen:

Petra Seisl
Autor Dr. Petra Seisl
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