Die Gewalt gegen Personal im Gesundheitswesen nimmt alarmierend zu, insbesondere in Notaufnahmen und Kliniken. Eine aktuelle Umfrage der Ärztekammer Schleswig-Holstein zeigt, dass fast die Hälfte der befragten Ärzte bereits Opfer von Gewalt wurde – vor allem verbale Angriffe, aber auch körperliche Übergriffe sind keine Seltenheit mehr.
Besonders Notaufnahmen als Brennpunkte
Insbesondere die Notaufnahmen sind offenbar von gewalttätigen Vorfällen betroffen. So berichtet auch Dr. Domagoj Schunk, Leiter der Zentralen Notaufnahme (ZNA) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel, von einer deutlichen Verschärfung der Situation. Aggressionen von Patienten oder deren Angehörigen gehören mittlerweile zum Alltag. Besonders belastend seien Vorfälle in Stoßzeiten wie Silvester oder Großveranstaltungen. Auch Alkoholkonsum spiele eine große Rolle. Laut der Umfrage gaben 46% der Ärzte an, dass Gewalt in den letzten drei Jahren zugenommen hat. Fast jede dritte Gewalttat ist körperlicher Natur. Betroffene berichten von Biss- und Schnittwunden, Prellungen sowie psychischen Folgen wie Schlafstörungen oder Panikattacken.
Mehr Schutzmaßnahmen gefordert
Die Ärztekammer Schleswig-Holstein fordert bessere Schutzmaßnahmen. Bereits jetzt setzen viele Kliniken auf Notfallknöpfe, Sicherheitsdienste und Deeskalationstrainings. Dennoch bleibt das Problem bestehen. Arbeitgeber seien in der Pflicht, ihre Mitarbeiter besser zu schützen, fordert Kammerpräsident Prof. Dr. med. Henrik Herrmann. Zudem müsse die Politik strengere Strafen für Gewalt gegen medizinisches Personal verhängen. Einige Kliniken haben bereits Maßnahmen ergriffen, darunter verstärkte Sicherheitsdienste in der Nacht oder Videoüberwachung in sensiblen Bereichen. Trotzdem fühlen sich viele Ärzte und Pflegekräfte weiterhin gefährdet.
Anspruchsdenken als Ursache?
Eine der Ursachen für das aggressive Verhalten liegt im wachsenden Anspruchsdenken vieler Patienten. Immer häufiger fordern sie sofortige Behandlungen, Rezepte oder bestimmte Untersuchungen – unabhängig von medizinischer Notwendigkeit. Wer nicht sofort bedient wird, reagiert oft mit verbaler oder sogar mit körperlicher Aggression. „Viele sehen die Notaufnahme als eine Art Selbstbedienungsladen und nicht als Versorgungseinrichtung für echte Notfälle“, erklärt ein anonymer Arzt aus einer ZNA. Fälle, bei denen Patienten mitten in der Nacht mit harmlosen Beschwerden wie Mückenstichen oder Rückenschmerzen in die Notaufnahme kommen und dort sofortige Behandlungen erwarten, seien keine Seltenheit.
Politische Lösungen gefordert
Um langfristig eine Verbesserung zu erreichen, fordern Ärzte eine bessere Patientensteuerung und gezielte Präventionskampagnen. Auch Maßnahmen wie verpflichtende Kostenübernahmen für unangemessene Notaufnahme-Besuche werden diskutiert, um das aggressive Verhalten in überlasteten Kliniken einzudämmen. Die Gesundheitsministerin Schleswig-Holsteins, Prof. Dr. Kerstin von der Decken (CDU), sieht Handlungsbedarf und plädiert für eine bessere Steuerung der Patientenströme sowie strengere Maßnahmen gegen Gewalt in medizinischen Einrichtungen. Die Ärztekammer Schleswig-Holstein schlägt zudem Aufklärungskampagnen vor, um Patienten über angemessenes Verhalten gegenüber medizinischem Personal zu informieren.
Kommentar:
Die steigende Gewalt gegen medizinisches Personal, insbesondere in Notfallpraxen, ist besorgniserregend. Laut dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg wurden 2023 allein in medizinischen Einrichtungen rund 1.000 Gewalttaten registriert, darunter auch schwere Körperverletzungen. Die Ursachen sind vielfältig: gesellschaftliche Verrohung, wachsende wirtschaftliche Belastungen, Überforderung im Gesundheitssystem und steigende Erwartungshaltungen der Patienten.
Dass das LKA BW nun Schulungen zur Deeskalation und Gefahrenprävention anbietet, ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Mitarbeitende lernen, frühzeitig auf aggressive Situationen zu reagieren, Provokationen zu vermeiden und sich im Ernstfall in Sicherheit zu bringen. Zudem wird das sog. TOP-Prinzip empfohlen, das technische, organisatorische und personenbezogene Schutzmaßnahmen umfasst – von Gegensprechanlagen und Videoüberwachung bis hin zu Notfallplänen und Schulungen.
Quellen: