Inflationsbedingte Kostensteigerungen setzen Medizintechnik unter Druck

Inflationsbedingte Kostensteigerungen setzen Medizintechnik unter Druck

Nach einem vorübergehenden coronabedingten Umsatzrückgang hat sich die Nachfrage in der Medizintechnikindustrie in den beiden Folgejahren wieder deutlich erholt – rund 61% der Unternehmen gehen aktuell von einer Steigerung des Umsatzes aus. Dennoch erwarten laut Herbstumfrage des Branchenverbandes BVMed fast zwei Drittel der Medizintechnikunternehmen (62%) aufgrund deutlich gestiegener Kosten eine verschlechterte Gewinnsituation. Einer der Hauptgründe liegt in den inflationären Kostensteigerungen von Transport-, Rohstoff- und Energie- sowie Lohnkosten. Hinzukommen mit Lieferkettenproblemen und der Implementierung der neuen europäischen Medizinprodukteverordnung (EU-MDR) einhergehende Kosten. Wie der Innovationsklimaindex mit einem aktuellen Tiefstwert von 3,6 verdeutlicht, äußern sich die immer weiter steigenden Kosten auch im Rückgang der Innovationsdynamik.

Energie- und Rohstoffpreise

Die gesteigerten Preise für Energie (Öl- und Gaspreise) und Rohstoffe wirken sich in der Medizintechnik aufgrund der hohen Energie- und Rohstoffintensität der Branche in besonderem Maße auf die Herstellungskosten aus. Dies betrifft auch die Sterilisation der Produkte. Die durch die Lieferkettenprobleme entstehende Knappheit wirkt sich zusätzlich auf die weltweit explodierenden Rohstoffpreise aus. Betroffen sind Halbleiter, Verpackungsmaterialien, Harze, Kunststoffe und chirurgische Legierungen. Rund 87% der Medizintechnikunternehmen bezeichnen die dadurch entstehenden Belastungen als stark. Fast drei Viertel der Unternehmen (72%) sehen in den steigenden Energie- und Rohstoffpreisen ein unternehmerisches Risiko, noch vor der bisherigen Spitzenposition dem Fachkräftemangel. Der Anstieg der Energiepreise von Juli auf August 2022 betrug 139%. Im Vergleich zum Vorjahr beläuft sich der Anstieg auf rund 278%. Hinzukommen die bereits durch die Corona-Pandemie ausgelösten Lieferengpässe, die für 42% der Unternehmen nach wie vor ein relevantes Thema sind. Diese machen sich vor allem bei Vorleistungen wie Halbleitern/Chips, Stahl, Aluminium und Kunststoffen sowie insbesondere elektronischen Komponenten bemerkbar. Koreanische Mikrocontroller-Chips verzeichnen einen Preisanstieg von mehr als dem Sechsfachen (2020: 8 Dollar, 2021: 50 Dollar). Im Durchschnitt liegen die Preissteigerungen für Vorleistungen bei rund 17,5%. Die Angabe von höheren Einkaufspreisen betroffen zu sein, machen fast ausnahmslos alle Medizintechnikunternehmen (96%). In Bezug auf Gas und Strom gilt, im Falle eventuell auftretender Knappheitssituationen, der systemrelevante Status der Medizintechnikunternehmen zu beachten.

Logistik- und Frachtkosten

Die bereits durch die Pandemie erhöhten Containerfrachtkosten sind im weiteren Verlauf immer weiter gestiegen. Laut World Container Index ist der Preis für einen 40-Fuß-Container auf 4.472 US-Dollar (+254%) im Vergleich zu Vorpandemiezeiten im September 2019 gestiegen. Zwischenzeitlich lagen die Preise bei mehr als dem Siebenfachen. Für die Route Shanghai – Rotterdam (meistbefahrene Route nach Europa) liegt der Preis für einen 40-Fuß-Container bei rund 6.000 US-Dollar. Die Frachtkosten sind auch insbesondere deshalb für die Medizintechnik ein Thema, da häufig auf spezifische Transportbedingungen wie Temperatur und Sterilisationsbedingungen zu achten ist.

Lohnkosten

Aufgrund der Lohninflation sind auch die Arbeitskosten im Laufe der vergangenen Monate spürbar gestiegen. Die Lohninflation betrifft vor allem Bereiche wie Lagerhaltung, Logistik und Vertrieb. Die Medizintechnik steht im Kampf um hoch qualifizierte Fachkräfte aus den Bereichen Technik, IT und Vertrieb sowie Regulatorik und Qualitätsmanagement in einem großen Wettbewerb zu anderen Branchen. Laut BVMed-Herbstumfrage können beispielsweise mehr als die Hälfte (53%) der Unternehmen nur mit großen Schwierigkeiten offene Vertriebsstellen besetzen.

Regulatorische Kosten

Zu den inflationsbedingten Kostensteigerungen kommen weitere Kosten hinzu, die mit der Implementierung der EU-MDR verbunden sind. Aufgrund der Verordnung unterliegen neue Produkte einem deutlich umfangreicheren Zulassungsverfahren, der sich auch bereits zugelassene Produkte unterziehen müssen. Spätestens im kommenden Jahr laufen bestehende Genehmigungen aus. Mittlerweile ist zu erkennen, dass die verbleibende Zeit für alle in Europa zugelassenen Medizinprodukte (rund 450.000) für eine neue Zertifizierung auch aufgrund mangelnder Kapazitäten bei den benannten Stellen nicht mehr ausreichen wird, Versorgungsengpässe drohen.

 

Kommentar:

Die Medizintechnikbranche ist angesichts der Beschäftigten- und Umsatzzahlen ein überaus bedeutender Wirtschafts- und Arbeitsmarktfaktor in Deutschland. Die inflationsbedingten horrenden Kostensteigerungen erfordern einen Strauß an Maßnahmen, die nicht nur langfristige Verbesserungen versprechen, sondern auch unmittelbar zur Bewältigung der Herausforderungen beitragen. Nicht zuletzt richten die Branchenverbände ihren Appell diesbezüglich an den Gesetzgeber.

Quelle:

Nadine Brohammer
Autor Nadine Brohammer
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