Der Fallzahlrückgang in deutschen Krankenhäusern hat sich nach 2020 und 2021 auch im Jahr 2022 fortgesetzt. Dies geht aus einer aktuellen Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor. Dem WIdO zufolge nahmen die Fälle im somatischen Bereich im Vergleich zu 2019 im vergangenen Jahr um 15% ab und damit nochmals stärker als in den beiden Vorjahren. Bei den psychiatrischen Fällen war der Rückgang zwar schwächer ausgeprägt als noch 2020, nahm jedoch gegenüber 2021 um 0,6 Prozentpunkte zu (vgl. Abb.).
Abb.: Entwicklung der stationären Fallzahlen jeweils im Vergleich zu 2019
Quelle: WIdO 2023 Grafik: REBMANN RESEARCH
Pandemie sorgt für anhaltende Fallzahlrückgänge
Bereits vor Ausbruch des COVID-19-Virus verzeichneten die Kliniken stagnierende Fallzahlen. Die Pandemie hat jedoch insbesondere während ihrer Hochphasen für teilweise deutlich sinkende stationäre Patientenzahlen gesorgt. War diese Entwicklung im Jahr 2020 insbesondere den (für die besonders schweren Infektionsfälle) freigehaltenen Betten geschuldet, mussten im vergangenen Jahr Operationen und Behandlungen aufgrund der massiven krankheitsbedingten Ausfälle beim Krankenhauspersonal verschoben werden. Dabei sorgte laut WIdO insbesondere die fünfte Infektionswelle von Januar bis Mai 2022 für Auslastungsrückgänge.
Pandemie beschleunigt Ambulantisierungsprozess und Verzicht auf nicht leitliniengerechte Behandlungen
Die Untersuchung der Fallzahlentwicklung 2019-2022 nach Behandlungsanlass belegt, dass sich bei den sog. ambulant sensitiven Diagnosen die größten Rückgänge beobachten lassen. So nahmen die Behandlungsfälle bei Bluthochdruck und Rückenschmerzen um 35% gegenüber 2019 ab. Bei den chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen und Diabetes mellitus ergab sich ein Minus um 28% bzw. 21%. Das WIdO vermutet, dass die Pandemie zu einer Beschleunigung der Substitution stationärer durch ambulante Behandlungen sorgt. Auffallend stark fielen die Fallzahlrückgänge 2022 gegenüber 2019 auch bei den Mandelentfernungen (-35%) aus. Laut WIdO könnten hierfür sowohl die pandemiebedingt besseren Hygieneregeln (und damit geringe Anzahl an Mandelentzündungen) ursächlich sein als auch der Entfall von Operationen bei Indikationen, die nicht den Leitlinien entsprechen.
Sinkende Fallzahlen bei bestimmten Diagnosen lassen Folgeschäden erwarten
Während sich die OP-Zahlen bei einigen Diagnosen wie z.B. den planbaren Hüftgelenksimplantationen (-2%) oder den Brustkrebsoperationen (-5%) weitgehend normalisiert haben, gibt die Statistik bei anderen Eingriffen und Behandlungen Anlass zur Sorge. So könnten die um 16% rückläufigen Darmkrebsoperationen auf viele noch unentdeckte Fälle hindeuten, die der geringeren Anzahl an Darmspiegelungen geschuldet ist. Rückgänge – bislang ohne eindeutige Erklärung – ergaben sich 2022 auch bei den Herzinfarkten (-13%) und Schlaganfällen (-11%).
Kommentar:
Die künftigen Jahre werden zeigen, ob – und wenn ja inwieweit – sich die teilweise stark rückläufigen Krankenhausbehandlungen auf die Morbidität und Mortalität der Bevölkerung auswirken. Fest steht jedoch, dass viele Kliniken inzwischen nicht zuletzt aufgrund der Pandemie ihre Belastungsgrenze erreicht haben. Gerade mit Blick auf die rückläufigen Fallzahlen und damit die zu erwartenden Erlösausfälle sind sie auf weitere finanzielle Stützmaßnahmen angewiesen. Die Gestaltung der künftigen Krankenhauslandschaft liegt nun in den Händen der Politik, die mit der anstehenden großen Reform auch umfangreiche Strukturveränderungen plant. Zumindest für komplexere Operationen und Behandlungen müssen viele Patienten künftig größere Wege in Kauf nehmen. Erfahrungsgemäß gehen neben der Krankenhausplanung große Anreize von der Ausgestaltung des Krankenhausfinanzierungssystems aus. Dies sollten die politischen Akteure beachten, wenn es im Sinne einer Gleichbehandlung der Bevölkerung zumindest bei der stationären Grundversorgung nicht zu größeren Einschnitten in ländlichen Regionen kommen soll.
Quelle: WIdo – Krankenhaus-Fallzahlen: Rückgang 2022 noch größer als in den ersten beiden Pandemie-Jahren