Krankenhaussektor unter Reformdruck

Krankenhaussektor unter Reformdruck

Krankenhäuser in Deutschland beurteilen ihre wirtschaftliche Lage so schlecht wie nie zuvor. Dem aktuellen Krankenhaus Barometer des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) zufolge rechnen 60% der Kliniken für das Jahr 2021 mit einem Verlust – und damit doppelt so viele wie noch 2020. Lediglich 11% der Umfrageteilnehmer bewerteten die wirtschaftliche Situation 2021 als „gut“. Die schlechte Stimmung spiegelt sich auch in den Insolvenzen wider. Allein 2020 gingen 18 Kliniken in die Insolvenz, was einem Plus von 80% gegenüber 2019 entspricht. Auch im laufenden Jahr ist zu erwarten, dass weitere Kliniken in die roten Zahlen rutschen. Grund ist, dass die zum Teil über Jahrzehnte hinweg verschleppten Probleme aktuell durch weitere negative Rahmenbedingungen u.a. infolge der Pandemie verschärft werden.

  • Pandemiebedingte Effekte: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft berichtet in Zusammenhang mit der Pandemie von einem Fallzahlrückgang von jährlich rund 15%. Hinzu kommt die Belastung der Kliniken in Form der Behandlung von COVID-19-Patienten, von denen weiterhin eine vierstellige Zahl auf eine intensivmedizinische (personalintensive) Therapie angewiesen ist.
  • Kosteneffekte: Die starken Kostensteigerungen (u.a. in den Bereichen Energie, Bau), die sich auch in der steigenden Inflationsrate niederschlagen, belasten die Krankenhäuser in besonderem Maße.
  • Massive Personalprobleme: Die Pandemie hat die bereits prekäre Personalsituation in den Kliniken durch den COVID-19-bedingten Ausfall von Personal weiter verschärft. Hinzu kommt, dass viele Pflegekräfte aufgrund der extremen körperlichen und seelischen Belastungssituation ihren Beschäftigungsumfang reduziert haben oder ganz aus dem Beruf ausgestiegen sind. Der Personalmangel hat direkten Einfluss auf die Leistungsebene. Operationen können nicht durchgeführt und freie Betten nicht belegt werden; zum Teil sind ganze Abteilungen betroffen.
  • Negative Langzeitfolgen des DRG-Systems: Das 2004 rechtsverbindlich eingeführte DRG-System hat über die Jahre hinweg zu einem enormen Wirtschaftlichkeitsdruck geführt. In der Folge kam es zu unerwünschten Effekten auf betrieblicher Ebene (steigende Belastung des Personals und Qualitätsprobleme) sowie in versorgungsstruktureller Hinsicht. Die Politik hat deshalb u.a. mit der Einführung qualitätssichernder Instrumente und zuletzt auch mit der Einführung des sog. Pflegebudgets (Ausgliederung der Kosten für die Grundpflege aus den DRG seit 2020) „nachgebessert“. Die zahlreichen Eingriffe des Gesetzgebers mündeten in einer überbordenden Regelungsdichte, einem hochkomplexen (nur noch von Spezialisten zu durchblickenden) Betriebskostenfinanzierungssystem und einem zunehmenden Verwaltungsaufwand.
  • Investitionsstau: Negativ wirkt sich auch die seit Jahrzehnten persistierende Problematik bei der Investitionsfinanzierung im Rahmen der dualen Finanzierung aus. Die Länder kommen ihren Investitionsverpflichtungen nicht nach und die seit Jahren geforderte Reformierung des Systems unterblieb bislang. Die Problematik des Investitionsstaus hat sich insofern verschärft, als das eingeführte Pflegebudget (nach dem Selbstkostendeckungsprinzip) den Handlungsspielraum der Krankenhäuser, eigenerwirtschaftete Mittel für dringend erforderliche Investitionen einzusetzen, erheblich eingeschränkt hat. Gleichzeitig resultieren aus dem neuen Pflegebudget finanzielle Unwägbarkeiten für die Krankenhäuser: Im Frühjahr 2021 hatte lediglich ein Fünftel der Krankenhäuser ein hausindividuelles Pflegebudget abgeschlossen.
  • Druck durch Ambulantisierung: Sorge bereitet den Kliniken auch die zunehmende Leistungsverlagerung in den ambulanten Bereich. Bereits vor der Pandemie hatte sich eine Stagnation der stationären Fallzahlen abgezeichnet und der Koalitionsvertrag sieht eine weitere Förderung der Substitution stationärer durch ambulante Leistungen vor: Geplant ist die Definition eines Katalogs von Leistungen, für die künftig eine sektorengleiche Vergütung in Form sogenannter Hybrid-DRG gelten soll.
  • Fehlende Ressourcen für die Digitalisierung: Die digitale Transformation der Kliniken wird zwar aktuell durch den Krankenhauszukunftsfonds gefördert, dennoch fehlt es insgesamt an ausreichenden Mitteln sowie an qualifiziertem IT-Personal.

Kommentar:

Durch die Pandemie ist die Vorhalteleistung der Kliniken im Rahmen der sozialen Daseinsfürsorge – insbesondere durch kommunale Einrichtungen – stark in den Mittelpunkt gerückt. Zwar haben sich die im internationalen Vergleich großen stationären Kapazitäten in Deutschland insbesondere zu Beginn der COVID-19-Pandemie als klarer Vorteil erwiesen, doch ist – auch aufgrund gesamtwirtschaftlicher Auswirkungen der Pandemie, die nun zusätzlich von den Negativeffekten des Ukrainekriegs überlagert werden – eine grundlegende Reform unausweichlich.

Krankenhausreform ab 2023 geplant

Nach zunehmendem Druck von allen Akteuren des Krankenhaussystems plant Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nun ab dem Jahr 2023 die größte Krankenhausreform der vergangenen 20 Jahre. Ein erster Schritt erfolgte Angang Mai 2022 mit der Aufstellung einer sechzehnköpfigen Expertenkommission. Themen sind neben der Finanzierung und Krankenhausplanung die Reform der DRG, die Verbesserung der Notfallversorgung und Maßnahmen gegen den Pflegekräftemangel.

Quellen:

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