Der Megatrend Künstliche Intelligenz (KI) gewinnt auch in der Medizintechnik immer mehr an Bedeutung. Bislang mangelt es allerdings an handfesten rechtlichen Regelungen. Das Inkrafttreten des inzwischen zwar beschlossenen Gesetzes über Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence Act – AIA) wird voraussichtlich erst in zwei bis drei Jahren realisiert. Die aktuelle gesetzliche Lage ist daher bislang unausgereift und lückenhaft. Mit wachsender Bedeutung sehen sich Medizintechnikunternehmen aber zunehmend in der Pflicht, eine KI-Strategie zu entwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Anwendungsgebiet der medizinischen Bilderverarbeitung und Diagnostik
Die Möglichkeiten von KI in der Medizintechnik gehen dabei weit über bloße Chatbot-Technologien hinaus. Ein bedeutendes Anwendungsgebiet ist die medizinische Bildverarbeitung und Diagnostik. KI kann bei der Analyse von Bilddaten (Röntgen-, CT- und MRT-Bilder) unterstützend auf die Erstellung medizinischer Diagnosen einwirken. Die KI analysiert vorhandene Bilddaten und identifiziert darauf basierend Muster, die mit bestimmten Krankheitsbildern in Verbindung stehen. Diese Muster werden dann den entsprechenden Diagnosen zugeordnet. Durch die Analyse und den Zugriff auf umfangreiche Datenmengen (auch: Big Data) ist es möglich, pathologische Veränderungen in Bildern schnell und zuverlässig zu identifizieren. Dies ermöglicht eine individuelle Anpassung von Therapien an die Bedürfnisse des Patienten und die Erstellung von Prognosen für den weiteren Krankheitsverlauf.
KI verbessert Diagnostik von Osteoporose
Forschende am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein haben beispielsweise eine KI-Software entwickelt, die durch Osteoporose verursachte Wirbelbrüche auf CT-Bildern erkennt und bewertet. Die Software läuft im Hintergrund bei CT-Bildern des Brustkorbs, die aus anderen Gründen aufgenommen werden, und untersucht automatisch die Wirbelsäule auf Frakturhinweise. Dies ermöglicht eine verbesserte Osteoporose-Diagnostik, besonders in Bezug auf Hüftfrakturen im Alter. Die KI-Software verwendet künstliche neuronale Netze, algorithmische Modelle, die nach dem Prinzip des menschlichen Gehirns arbeiten. Auch Gewebeveränderungen wie Melanome, Karzinome und Hautkrebs können damit erkannt werden.
Durch den Einsatz von großen Sprachmodellen (Large Language Models – LLM) wird Ärzten der Zugriff auf bedeutende Informationen vereinfacht. Gleichzeitig erleichtert Generative Künstliche Intelligenz (GenAI) die Dokumentation und Überwachung für das medizinische und pflegerische Personal.
KI unterstützt neben der Diagnostik zudem bei der Behandlung und Prävention. Bei der Durchführung von Operationen können KI-Systeme insbesondere auf die Sicherheit und Effizienz positiv einwirken. Bei der Vorsorge können die Entwicklung personalisierter Präventionsstrategien unterstützt und die Wahrscheinlichkeit von Krankheiten reduziert werden. Weiterhin kann KI in der Forschung, bei der Arzneimittelentwicklung und Verwaltung von Gesundheitsdaten eingesetzt werden.
Chancen und Risiken von KI im Gesundheitswesen
KI kann in kürzester Zeit umfangreiche Datenmengen kombinieren und auswerten, schneller, als es dem menschlichen Gehirn je möglich wäre. Nicht zu vernachlässigen beim Einsatz von KI in der bildgebenden Diagnostik ist allerdings die Gefahr von Falschdiagnosen. Die Weltgesundheitsorganisation hat zur Nutzung von KI im Gesundheitswesen einen Leitfaden zu den Chancen und Risiken entwickelt. Neben dem Potenzial beleuchtet der Leitfaden eventuell irreführende und gefährliche Ergebnisse. Entscheidend ist die Qualität der Daten, die dem Algorithmus zugrundliegen, da das informationstechnische Netzwerk, das KI darstellt, durch die Verarbeitung vorhandene Daten, neue Inhalte generiert und dabei auf die Qualität der Basisdaten angewiesen ist. Ist die Datengrundlage verzerrt, besteht die Gefahr von falschen Diagnosen und damit verbunden drohenden gesundheitlichen Schäden.
Im Falle der Erkennung von Wirbelbrüchen klassifizierte die KI-Software Frakturen mit einer Genauigkeit von rund 90% korrekt, wie eine Studie mit 159 CT-Bildern ergab, die von Radiologen begutachtet wurden und kann dabei sogar zwischen milden und schweren Fällen unterscheiden.
Besonders aufgrund der zugrunde liegenden sensiblen Gesundheitsinformationen beim Einsatz von KI im Gesundheitswesen müssen Regeln aufgestellt werden, die auch Limitationen festlegen. Technologieunternehmen, welche die Systeme entwickeln, müssen vor allem zum Schutz der sensiblen Daten und gleichzeitig zur Förderung einer unabhängigen KI-Forschung reguliert werden.
Projekt zur standortunabhängigen roboterassistierten Telechirurgie verzichtet auf Übertragung von Gesundheitsdaten
Um auf die Übertragung von sensiblen Gesundheitsdaten verzichten zu können, haben sich einige Projektteilnehmer unter ihnen das Fraunhofer Institut und das Bosch Digital Innovation Hub im Projekt Daior (Distributed Artificial Intelligence for the Operating Room) zusammengetan. In diesem Gesundheitsprojekt wird ein selbstlernendes KI-Modell für die standortunabhängige roboterassistierte Telechirurgie entwickelt. Durch föderales Lernen werden lokale Daten genutzt, ohne sensible Informationen zu übertragen. Das Modell gleicht Datenkommunikationsverzögerungen aus, indem es Schritte voraussagt. Die roboterassistierte Telechirurgie über das Internet ermöglicht schnelle, standortunabhängige Operationen, revolutioniert die Patientenversorgung und verbessert die medizinische Versorgung bei Notfällen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Dieser Fortschritt schafft Flexibilität in der Nutzung von OP-Kapazitäten und gibt klinischem Personal mehr Zeit für die Behandlung. Die Forschung am IHU Strasbourg konzentriert sich auf bildgesteuerte Therapien, minimal-invasive Präzisionseingriffe und die Integration von virtueller Realität, Robotik und Künstlicher Intelligenz, um neuartige Patientenpfade zu ermöglichen.
Kommentar:
Die steigende Bedeutung von KI in der Medizintechnik, insbesondere in der Bildverarbeitung und Diagnostik, eröffnet vielversprechende Möglichkeiten für die Verbesserung von Diagnosen, Behandlungen und Prävention im Gesundheitswesen.
Insgesamt zeigt die Entwicklung von KI im Gesundheitswesen sowohl Chancen als auch Herausforderungen auf, wobei die Qualität der Daten und der Schutz sensibler Gesundheitsinformationen entscheidend sind. Eine ausgewogene Integration von KI-Technologien erfordert nicht nur technologische Fortschritte, sondern auch eine fundierte rechtliche Basis und klare Regulierungen zum Schutz der Patientendaten.
Neben dem Innovationsimpuls beeinflusst KI auch die Produktion, Entwicklung und Supply Chain von Medizintechnikunternehmen. Die Integration von KI ermöglicht eine schnellere Entwicklung und Markteinführung von Lösungen. Hersteller werden aufgrund der Chancen und Herausforderungen in den kommenden Jahren verstärkt in die KI-Fähigkeiten ihrer Standorte investieren oder suchen nach Partnern mit entsprechendem Expertenwissen.
Quellen: