Medizintechnik: Wieder mehr Unternehmen von Lieferengpässen betroffen

Medizintechnik: Wieder mehr Unternehmen von Lieferengpässen betroffen

Etwa drei Viertel (74,6%) der verarbeitenden Unternehmen sind gegenwärtig von Lieferengpässen/Materialmängel betroffen. Nach dem Höchststand im Dezember hatte sich im Januar eine Entschärfung angedeutet, die sich mit Blick auf den aktuellen Wert wieder relativiert und den weiteren Aufschwung verzögert. Das zeigen die Ergebnisse einer regelmäßigen Umfrage des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo Institut).

Entwicklung der vom Materialmangel bei Rohstoffen und Vorprodukten betroffenen Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe (Ende 2021 – Anfang 2022)

Quelle: ifo Institut

Was sind die Gründe für die Lieferengpässe?

  • große Abhängigkeit von einzelnen Herstellern aus Ländern mit niedrigen Produktionskosten, insbesondere der chinesischen Produktion (u.a. von Aluminiumlegierungen [>80%] z.B. für die Herstellung von Beatmungsgeräten)
  • Grenzschließungen und protektionistische Maßnahmen (Exportstopps) der einzelnen Länder
  • Blockade des Suezkanals
  • Brexit und MDR verschärfen Situation
  • Personalmangel verstärkt Transportprobleme zusätzlich
  • Schnellere Erholung der Industrie als von Lieferanten erwartet
  • angespannte Beziehung zu Russland

Welche Engpässe sind vorherrschend in der Medizintechnik?

Viele medizintechnische Produkte sind komplex, entsprechend groß ist die Abhängigkeit von funktionierenden Lieferketten. Engpässe in der Medizintechnikbranche betreffen vor allem:

  • Hygieneprodukte/Schutzausrüstung
  • Elektronikkomponenten, insbesondere Computerchips
  • Rohmaterialien, wie Metalle und Kunststoffe, und daraus hergestellte Vorprodukte wie z.B. Schrauben (häufig aus China)

Als Ergebnis führen fehlende Einzelteile/einfache Grundprodukte (Pumpen für Dialysegeräte/ staubarmer Spezialkunststoff für Beatmungsgeräte) nicht selten zu einer Lähmung der gesamten Lieferkette. Der Materialmangel bremst trotz vorhandener Aufträge die Produktion. Im schlechtesten Fall führen zu hohe Kosten für Rohstoffe und Energie dazu, dass sich die Unternehmen gezwungen sehen, Aufträge abzulehnen.

Wie wirken sich Preissteigerungen auf die Medizintechnik aus?

Kosten- und Preissteigerungen können von Medizintechnikunternehmen aufgrund der starken Regulierung bei der Vergütung medizinischer Leistungen häufig nur begrenzt oder gar nicht an ihre Kunden in Form höherer Produktpreise weitergegeben werden. Dies schlägt sich negativ auf deren Ertragssituation nieder. Im Kampf gegen steigende Preise sind verlässliche (inländische) Lieferantenbeziehungen wichtig, die langfristige Konditionen ermöglichen. Als problematisch erweisen sich die in der Medizintechnik vorherrschenden globalen Lieferketten. Häufig gibt es aufgrund der höheren Lohnkosten keine europäischen Hersteller (mehr), sodass Rohstoffe und Vorprodukte aus dem Ausland bezogen werden müssen. Dies erzeugt eine große Abhängigkeit vom freien Personen- und Warenverkehr, was besonders zu Anfang der Pandemie Engpässe nach sich zog. Der Personenverkehr spielt in der Lieferung von Medizintechnik eine Rolle, da die Installation und Wartung neuer komplexer Medizinprodukte häufig die Expertise internationalen Fachpersonals benötigt, was die Unternehmen zum Umdenken bezüglich digitaler Vertriebsangebote bewog. Die angestrebte Abkehr von globalen Lieferketten zur Steigerung der Resilienz der Gesundheitsindustrie könnte laut einer Studie des ifo Instituts allerdings eine Schmälerung der deutschen Wirtschaftsleistung um bis zu 10% bedeuten.

Was trägt zur Preissteigerung bei?

Neben den horrenden Steigerungen bezüglich Energie und Rohstoffen bedeuten inländisch erzeugte Waren zumeist steigende Preise aufgrund höherer Personalkosten. Dies macht die preisgünstige Produktion im Ausland dennoch erforderlich und sollte die Wiederherstellung lokaler Lieferketten bestenfalls auf kritische Komponenten begrenzen. Zu den steigenden Kosten trägt auch die steigende Konkurrenz bei der Lieferantensuche bei, die sich in höheren Einkaufspreisen niederschlägt. Hinzu kommen Kosten für Lagerhaltung aufgrund vorrätig beschaffter Komponenten seitens der Unternehmen sowie erhöhter zeitlicher und personeller Aufwand bei der Materialbeschaffung.

Nicht immer sind reale Engpässe das Problem

Auf die Über- oder Mehrfachbestellungen ist zurückzuführen, dass Schätzungen zufolge bei 80% der Medizinprodukte, insbesondere bei Infusionspumpen, Kathetern, Spritzen und Kanülen, keine Mengen-, sondern Verteilungsprobleme vorliegen. Zur Besserung der Situation und um Einfluss auf die Koordination zwischen Industrie, Politik und Verbänden zu nehmen, könnte eine vom BVMed initiierte digitale Bestandsplattform als ein Lösungsansatz dienen.

 

Kommentar:

Welchen Einfluss nimmt die Situation in Russland?

Die anhaltenden Materialengpässe sind insbesondere deswegen besorgniserregend, weil sich weite Teile der Industrie, allen voran die Medizintechnikbranche, noch nicht von der Corona-Krise erholt haben und hinsichtlich Russland bereits eine neue Krise ausbricht.

Laut eines Simulationsmodells des Netzwerkes EconPol Europe könnte ein Embargo hinsichtlich russischer Energieimporte ein Minus in Höhe von bis zu 3% auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bewirken. Für Öl und Kohle gibt es internationale Alternativen, problematisch ist vor allem die zum Großteil aus Russland bezogene Gasversorgung.

Quellen:

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