Jährlich werden schätzungsweise 4,5 Billionen Arzneimittel produziert, doch mehrere Milliarden davon gelangen nie zu den Patienten. Dies stellt nicht nur eine verpasste Chance dar, Millionen von Menschen in Not zu versorgen, sondern bedeutet auch eine Verschwendung von Geld und Ressourcen sowie eine erhebliche Umweltbelastung. Dabei ließe sich ein Großteil dieser Verluste vermeiden. Ein Bericht der britischen Sustainable Medicines Partnership (SMP) untersucht die Ursachen und bietet konkrete Handlungsempfehlungen.
Laut Bundesregierung wurden im vergangenen Jahr etwa 132 Mio. Dosen von nicht an die Variante Omikron XBB.1.5 angepassten Corona-Impfstoffen entsorgt. In der EU summierte sich die Anzahl vernichteter Dosen seit dem Höhepunkt der Pandemie auf mindestens 215 Mio. Dosen, was die europäischen Steuerzahler schätzungsweise mindestens 4 Mrd. Euro kostete. Das Problem betrifft nicht nur Impfstoffe: Pharmaunternehmen vernichten jährlich überschüssige Arzneimittel im Wert von rund 11 Mrd. Dollar. Laut SMP ist dies jedoch nur ein Bruchteil der globalen Medikamentenverschwendung.
Ursachen der Arzneimittelverschwendung
Basierend auf Experteninterviews, Erkenntnissen des Partners Deloitte sowie der Expertise der gemeinnützigen Organisation YewMaker, die sich für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen einsetzt, hat SMP den Versuch der globalen Gesundheitsbranche, eine kontinuierliche und konsistente Versorgung sicherzustellen, als wesentlichen Faktor für die Arzneimittelverschwendung identifiziert. Mit dem Ziel, Engpässe zu vermeiden, kommt es häufig zur Produktion und Lagerung von nicht benötigten Überschüssen. Zwar legen Regulierungsbehörden und Regierungen Richtlinien zum Schutz der Patienten fest, die die Herstellung, den Vertrieb und die Verwendung von Arzneimitteln regeln. Laut SMP konzentrieren sich die aktuellen Umweltschutzvorschriften jedoch mehr auf die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und die sichere Entsorgung gefährlicher Chemikalien als auf die Verringerung der Arzneimittelverschwendung.
Ein weiteres Problem ist in vielen Ländern die uneinheitliche Struktur der Akteure im Gesundheitswesen. Apotheken und Krankenhäuser arbeiten oft als getrennte Einheiten mit wenig Austausch, was zu unklaren Angebots- und Nachfragesignalen führen kann. Kartellgesetze können die Zusammenarbeit und den Datenaustausch zusätzlich einschränken und so die Verschwendung fördern. Bei grenzüberschreitenden Arzneimitteltransporten kommt es zudem manchmal zu Verzögerungen, wodurch Medikamente länger gelagert und schließlich entsorgt werden müssen.
Rolle der Verpackungen
Verpackungen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Arzneimittelverschwendung. Arzneimittelinformationen müssen oft in den jeweiligen Landessprachen verfasst sein, was die Produktkomplexität erhöht und die Möglichkeiten von Neuzuweisungen oder Spenden einschränkt. Darüber hinaus trägt die Verpackungsgröße zum Problem bei. Hersteller legen die Größe der Fläschchen (Vials) oft nach dem durchschnittlichen Verbrauch fest, wodurch sie bis zu 33% größer als nötig sind. Der Überschuss wird nach dem Öffnen meist vernichtet. Ähnliches gilt für Blisterverpackungen. Medikamente, die in einer Kühlkette transportiert werden müssen, benötigen spezielle Verpackungen, um die Produktsicherheit zu gewährleisten. Fehler in der Kühlkettenlogistik führen jährlich zu Verlusten von Medikamenten im Wert von 35 Mrd. Dollar.
Kommentar:
Die SMP-Untersuchung bietet wertvolle Handlungsempfehlungen zur Reduzierung der weltweiten Arzneimittelverschwendung. Ein erster Schritt ist die Quantifizierung des aktuellen Umfangs der nicht verwerteten Medikamente und die Identifikation der Ursachen. Durch die Implementierung von Best Practices, Investitionen in digitale Technologien und KI sowie die Integration neuer Datenquellen können Pharmaunternehmen und Großhändler ihren Bedarf besser planen. Strategien wie „First expired, first out“ bei der Lagerung von Arzneimitteln sind ebenfalls entscheidend.
Besondere Aufmerksamkeit sollte der Verbesserung der Kühlketten geschenkt werden. Fortschritte wie „Cold Chain as a Service“ und bessere Rückverfolgungssysteme können Abfall reduzieren und die Kosteneffizienz steigern. Auch die Optimierung der Verpackungsgrößen und die Einführung von Umverteilungsprogrammen sind wichtige Maßnahmen. Diese Programme sollten von einer dritten Partei oder Regulierungsbehörde überwacht werden, um die Integrität der Produkte und das Vertrauen in den Markt zu gewährleisten.
Die positiven Effekte einer geringeren Arzneimittelverschwendung sind vielfältig: Kostenreduktion, gesteigerte betriebliche Effizienz und weniger Umweltbelastung. Patienten profitieren durch eine höhere Verfügbarkeit von Medikamenten. SMP betont die Dringlichkeit des Handelns und sieht in der Zusammenarbeit mit den Pharmaunternehmen eine Chance, ein effizienteres, gerechteres und umweltfreundlicheres globales Gesundheitsökosystem zu schaffen.
Quelle: DAZ.online – Arzneimittelverschwendung: Milliarden für nichts