Multimorbide Patienten erfordern ganzheitliche Behandlung

Multimorbide Patienten erfordern ganzheitliche Behandlung

Zusammenhang zwischen oralen und systemischen Erkrankungen

Viele systemische Erkrankungen stehen mit der Mundgesundheit in Zusammenhang. Mit zunehmender Zahl älterer Patienten steigt auch die Zahl der Patienten, die zusätzlich zu einer oralen Erkrankung von einer oder mehreren Allgemeinerkrankungen wie beispielsweise Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes oder Krebs betroffen sind (siehe auch News vom 21.3.2022 „Megatrends und ihre Auswirkungen auf die Dentalbranche: Demografischer Wandel“). Teilweise bestehen Verbindungen zwischen systemischen und oralen Erkrankungen. So wird beispielsweise Parodontitis mit einigen Allgemeinerkrankungen in Zusammenhang gebracht – unter anderem mit Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus, chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD) oder auch mit ungünstigen Schwangerschaftsverläufen.

Blick ins Ausland: Anamnese in US-amerikanischen Zahnarztpraxen

Der Blick auf den Dentalmarkt in den USA offenbart häufig Entwicklungen, die ein paar Jahre später auch auf den europäischen Markt zutreffen. Eine aktuelle Umfrage der American Dental Association (ADA) untersucht die Erfassung von medizinischen Patientendaten in Zahnarztpraxen.

32% der Umfrageteilnehmer gaben an, dass Krankheitsüberwachung zu ihrem Aufgabenbereich gehöre. Die Befragten gaben zudem an, dass sie Patienten haben mit

  • Herz-Kreislauferkrankungen (von 85% der Umfrageteilnehmer genannt)
  • Krebs, Krebsvorstufen oder anderen Neoplasien (68%)
  • Essstörungen (58%)
  • Infektionskrankheiten (56%)
  • Endokrinen Erkrankungen (55%)
  • Erkrankungen der Atemwege oder Lunge (55%)
  • Muskel-, Knochen- oder Bindegewebserkrankungen (43%)
  • Blut- bzw. hämatologischen Erkrankungen (40%)
  • Erkrankungen des Magen- oder Verdauungstraktes oder der Leber (38%)
  • Neurologischen oder Nervenkrankheiten (36%)
  • Erkrankungen der Nieren oder Blase (27%)
  • anderen Erkrankungen (12%)

In 93% der befragten Zahnarztpraxen werden Menschen behandelt, die sich wegen einer Krebserkrankung in aktiver Behandlung oder in der Nachbehandlungsphase befinden, 84% überweisen Patienten an andere Fachärzte bzw. Gesundheitsleistungserbringer.

Bei der Anamnese gaben 85% der Befragten an, mindestens einen Vitalparameter zu messen. Zumeist werden allerdings mehrere Vitalparameter wie Puls, Körpertemperatur, Atemfrequenz, Blutdruck und/oder Blutsauerstoffsättigung erfasst.

Drei Viertel der Umfrageteilnehmer ermitteln bei jedem Zahnarztbesuch erneut Änderungen der Krankengeschichte des Patienten, zwei Drittel aktualisieren die Medikamentenliste und ein Drittel erfasst Besuche bei anderen medizinischen Leistungserbringern. Knapp die Hälfte der Befragten führt bei allen Patienten eine Risikoanalyse durch.

 

Kommentar:

Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Fachgruppen immer bedeutender

Durch die üblichen regelmäßigen zahnmedizinischen Kontrollbesuche sind Zahnärzte dazu prädestiniert, systemische Erkrankungen bzw. deren orale Auswirkungen auf die Mundhöhle frühzeitig zu erkennen und deren Behandlung anzustoßen. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, mit Fachärzten und anderen Gesundheitsleistungserbringern zusammenzuarbeiten bzw. Patienten an diese zu verweisen. Mit der Zunahme von älteren und damit auch pflegebedürftigen und multimorbiden Patienten steigt die Bedeutung der Erhebung und Bewertung (allgemein-)medizinischer Patienteninformationen in Zahnarztpraxen.

Ganzheitliche Betrachtung und medizinisches Hintergrundwissen erforderlich

Leider wurde bei der letzten Novellierung der Zahnärztlichen Approbationsordnung (ZApprO), die seit dem Wintersemester 2021/22 an den zahnmedizinischen Fakultäten umgesetzt wird, nur der klinische Teil der Zahnmediziner-Ausbildung reformiert. Jedoch wurde die Chance versäumt, den vorklinischen Abschnitt der Studiengänge Medizin und Zahnmedizin zu vereinheitlichen. Dabei gewinnen die ganzheitliche (medizinische und zahnmedizinische) Betrachtung des Patienten und die Zusammenarbeit von Zahnmedizinern mit anderen Facharztgruppen immer stärker an Bedeutung.

Standorte in Facharztnähe bieten beiden Seiten Vorteile

Insbesondere für hauszahnärztlich tätige Zahnärzte mit einem hohen Anteil älterer Patienten bietet sich daher eine enge fachliche und auch örtliche Zusammenarbeit mit anderen Fachärzten und medizinischen Leistungserbringern an. Eine entsprechende Positionierung durch die Ausweisung eines Tätigkeitsschwerpunkts wie Alterszahnheilkunde, Ernährungsberatung oder ganzheitliche Zahnheilkunde ist sinnvoll. Empfehlenswert ist auch die Einbindung von Allgemeinzahnärzten in fachgruppenübergreifende MVZ oder ein Praxisstandort in räumlicher Nähe zu den betreffenden Fachärzten wie Internisten, Kardiologen, Onkologen, HNOs, Lungenärzten, Orthopäden, Nephrologen oder auch Gynäkologen – beispielsweise in einem Ärztehaus. Auch Praxisstandorte mit kurzen Wegen zu nichtärztlichen medizinischen Leistungserbringern wie Physiotherapeuten oder Ernährungsberatern können für beide Seiten Vorteile bieten.

Quelle: JADA – Oral-systemic health considerations in dental settings

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