Eine fundierte Analyse im Auftrag des VDDI/GFDI der Marktstrukturen der europäischen Dentalbranche in ausgewählten Ländern, die die demografischen, technologischen und regulatorischen Herausforderungen zeigt, die es zu meistern gilt und die mit der Ableitung von Zukunftsszenarien einen weiten Blick nach vorne wirft.
SchließenEine fundierte Analyse im Auftrag des VDDI/GFDI der Marktstrukturen der europäischen Dentalbranche in ausgewählten Ländern, die die demografischen, technologischen und regulatorischen Herausforderungen zeigt, die es zu meistern gilt und die mit der Ableitung von Zukunftsszenarien einen weiten Blick nach vorne wirft.
SchließenIn der Europäischen Union werden für Zahnbehandlungen rund 80 Mrd. € ausgegeben. Das sind bei 512,7 Mio. EU-Bürgern (Stand 2018) rund 156 € pro Kopf, Tendenz weiter steigend. Allein in der Eurozone lebten 2018 rund 341,5 Mio. Menschen. Die öffentlichen Ausgaben für Zahnbehandlungen betragen in den einzelnen europäischen Staaten zwischen 3 und 8 % der jeweiligen nationalen Gesundheitsausgaben. Die Nachfrage nach zahnmedizinischen Leistungen steigt aus demografischen, wirtschaftlichen und politischen Gründen weiter an. Die Gesundheitssysteme werden ausgebaut, der Zugang zur zahnärztlichen Versorgung verbessert, das verfügbare Einkommen der Bevölkerung steigt (wieder), die Babyboomer-Generation kommt in die Jahre und die Versorgung Pflegebedürftiger wird zur Herausforderung.
In der Mehrheit der betrachteten Länder müssen Patienten für zahnärztliche Leistungen (insbesondere im Bereich Prothetik) einen höheren Kostenanteil als für andere ambulante oder stationäre Gesundheitsleistungen privat (Zahnzusatzversicherung oder out-of-pocket) übernehmen. In den letzten Jahren ist dieser Anteil in den meisten Ländern tendenziell gestiegen.
Der ATLAS DENTAL erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zu vielfältig ist die Datenlage in einem so großen Markt wie Europa und einem so weitläufigen Feld wie dem der Zahngesundheit. Allein im EU-Raum gibt es rund 340.000 praktizierende Zahnärzte1 , die in rund 230.000 Praxen tätig sind. Etwa 210.000 Zahntechniker arbeiten in den rund 40.000 europäischen Dentallaboren.2 In Europa gibt es außerdem ca. 25.000 Medizintechnikunternehmen mit ungefähr 650.000 Beschäftigten. Die Häfte der Unternehmen - mit etwa 210.000 Beschäftigten - ist in Deutschland angesiedelt. Deutschland ist nach den USA & China weltweit der drittgrößte Produzent von Medizintechnik. Weitere wichtige Herstellerländer sind Großbritannien, Italien, die Schweiz, Spanien und auch Frankreich.3 Der europäische Dachverband der Dentalindustrie FIDE vertritt die Interessen von mehr als 550 Dentalherstellern, die in neun nationalen Verbänden organisiert sind.
Im ersten Kapitel findet zunächst eine europaweite Betrachtung ausgewählter Nachfrage- und Angebotsindikatoren statt. Diese Daten werden für einige ausgewählte Länder aufbereitet, wobei der deutsche Dentalmarkt aufgrund seiner Bedeutung im doppelten Seitenumfang dargestellt wird. Im zweiten Kapitel werden die wesentlichen Herausforderungen der Branche dargestellt. Das dritte Kapitel zeigt auf, wie sich die hier betrachteten Adressaten (Nachfrager, Zahnärzte/Praxen, Dentallabore sowie Hersteller/Handel) in Zukunft auf diese Herausforderungen einstellen können.
Auch in der Zahnarztpraxis, den Dentallaboren, insbesondere jedoch in der Herstellung und dem Handel zahnmedizinischer Produkte rückt das Arbeiten mit intelligenten Daten immer mehr in den Fokus. Das Angebot an Produkten und Dienstleistungen sollte sich ganz im Sinne eines “Customizing” - den Vorlieben der Kunden vor Ort - anpassen:
Das Nachfrageverhalten der Patienten einer Region (z. B. nach Alter, Geschlecht) kennen.
Die eigene Patientendatei bzw. das Kundenmanagementsystem ist die wichtigste Quelle für eigene Angebotsstrategien. Im Idealfall interagieren diese Daten mit externen Daten.
Die Nachfrage und das Angebot zahnmedizinischer Leistungen sollten zusammenpassen.
Weiterführende Spezialisierungsstrategien erfordern zunächst eine Potenzialanalyse.
Die Kenntnis der Demografiedaten ist wichtig, da diese nicht nur die Nachfrage-, sondern auch die Angebotsstruktur beeinflussen.
Der zweite Gesundheitsmarkt bietet zwar Wachstumschancen, erfordert jedoch auch detaillierte Marktkenntnisse.
Besonders interessant aus Sicht des Nachfrageverhaltens nach zahnärztlichen Leistungen ist die Inanspruchnahmerate. Diese gibt an, welcher Anteil der Bevölkerung innerhalb eines Jahres mindestens einmal Kontakt mit dem Zahnarzt hatte. Die Abbildung 1 zeigt, dass sich eine hohe Inanspruchnahme wie ein grüner Gürtel von den nordischen Ländern über das Vereinigte Königreich durch die Mitte Europas zieht. Tschechien, Slowakei und Österreich sind die östlichen Begrenzungslinien dieses “grünen Gürtels”. Im Süden und Westen Europas ist die Inanspruchnahmerate deutlich niedriger und selbst in der Schweiz entspricht sie lediglich dem EU-Durchschnitt. Eine auffallend hohe Inanspruchnahme weist Irland auf.
Liegen derartige Werte noch detaillierter vor, so lassen sich daraus wesentliche Potenziale nicht nur für die Zahnarztpraxis erkennen, z. B. in den verschiedenen Altersgruppen, zwischen Frauen und Männern bzw. zwischen den verschiedenen Regionen. Für einige Länder liegen auch Inanspruchnahmeraten für verschiedene zahnärztliche Leistungen wie Früherkennungsuntersuchungen/Prophylaxe, Füllungen, Röntgenleistungen, Wurzelbehandlungen und Zahnersatzleistungen vor.
Abb. 1 /// Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen
Quelle: Eurostat, ZWP online4 /// Grafik: REBMANN RESEARCH /// Stand: 2018
Nachfrage und Angebot zahnmedizinischer Leistungen sollten zusammenpassen
Derartige regionale Analysen zeigen regelmäßig, dass es noch große Unterschiede in der Nachfrage und der Honorierung gibt. Die Kenntnisse altersspezifischer Ausprägungen im eigenen Patientenstamm oder auch das Wissen um die demografische Struktur der Region helfen, sich im Leistungsspektrum besser auf die speziellen Bedürfnisse einzustellen. Erfolgsgarant ist auch hier das Schlüssel-Loch-Prinzip: Denn nur wenn das Angebot der Zahnarztpraxis bzw. des Handels, der die Zahnarztpraxis beliefert, auch zu der ganz spezifischen Nachfrage im Umfeld passt, können die Marktteilnehmer erfolgreich sein.
Weiterführende Spezialisierungsstrategien erfordern zunächst eine Potenzialanalyse
Die Praxisinhaber, die Dentallabore, die Dentalindustrie sowie der Dentalhandel sollten auf die demografische Entwicklung und die damit verbundene Zunahme chronischer Mehrfacherkrankungen inklusive der entsprechenden Versorgung Pflegebedürftiger bzw. alter Menschen vorbereitet sein. So kann sich auch der Zahnarzt durch mehr Mobilität und eine Vernetzung mit anderen Leistungserbringern stärker differenzieren als heute. Durch stärkere Berücksichtigung von Krankheiten, die in Zusammenhang mit der Mundgesundheit stehen, könnte ferner eine Lücke in der Grundversorgung geschlossen werden.
Die Finanzierung zahnmedizinischer Leistungen ist sehr stark durch politische/regulatorische Vorgaben bestimmt. Bei der öffentlichen Gesundheitsversorgung kommen in den europäischen Ländern zwei Systemvarianten zum Tragen: die Beveridge-Systeme und die Bismarck-Systeme: Die Beveridge-Systeme sind staatliche, aus Steuern finanzierte Versorgungsnetze von Arztpraxen und Krankenhäusern, zu denen alle Einwohner Zugang haben. Entsprechende Systeme sind in folgenden Staaten zu finden: im Vereinigten Königreich, in den skandinavischen Ländern sowie in Italien und Spanien. Die Bismarck-Systeme sind soziale Krankenversicherungen, die aus Sozialabgaben der Versicherten und ihrer Arbeitgeber finanziert werden. Hier gibt es drei Varianten: regionale oder zentrale Einheitsversicherung (Frankreich, Polen, Tschechien), betriebliche/berufliche und regionale Pflichtversicherungen (Belgien, Österreich), Systeme mit freier Kassenwahl und Kassenwettbewerb (Deutschland, Niederlande, Schweiz).
Mundgesundheit
Laut WHO ist die Prävalenz von Zahnkrankheiten in europäischen Ländern hoch. Die Hauptzahnerkrankungen sind Karies, Zahnerosion und Parodontalerkrankungen. Zwischen 20 und 90 % der sechsjährigen Kinder leiden an Karies, bei den Zwölfjährigen sind - je nach Land - durchschnittlich zwischen 0,4 und 3,5 der bleibenden Zähne geschädigt.5 Bei den 35- bis 40-jährigen Erwachsenen leiden fast 100 % an Karies. Je nach Land sind bei dieser Bevölkerungsgruppe zwischen 10 und 20 Zähne betroffen. Bei den Senioren ist Karies der Hauptgrund für den Totalverlust der Zähne. Regionenabhängig sind hiervon zwischen 5 und 51 % der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen betroffen. Hauptverantwortlich für Karies und Zahnerosion ist die Ernährung: Vor allem der Zuckerkonsum begünstigt Kariesbakterien und die Bildung von Säuren, die den Zahnschmelz angreifen. Über 50 % der europäischen Bevölkerung leiden an einer Parodontalerkrankung, davon 10 % an einer schweren Form. Bei der Bevölkerungsgruppe der 60- bis 65-jährigen Senioren sind sogar zwischen 70 und 85 % betroffen. Hauptfaktor für die Entstehung von Parodontalerkrankungen, die ebenfalls zum Zahnverlust führen können, ist eine schlechte Mundhygiene. Ein weiterer nicht unerheblicher Faktor ist der Tabakkonsum. Hinsichtlich Kinderzahnhygiene weisen weltweit 14 % der Kinder eine Mineralisationsstörung des Zahnschmelzes (MIH) auf. Bei 5 % der Kinder verlieren die Zähne an Substanz und sie leiden unter Schmerzen.
Abb. 2 /// Zahnärzte je 1.000 Einwohner
Quelle: Eurostat, ADDE/ FIDE6 /// Grafik: REBMANN RESEARCH /// Stand: 2018
Sozio-ökonomische Faktoren beeinflussen ebenfalls stark die Prävalenz von Zahnerkrankungen. Überdurchschnittlich stark betroffen sind laut WHO die unterprivilegierten, benachteiligten Bevölkerungsgruppen, für die in aller Regel kein leichter Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung besteht. Für die Verbesserung der Mundgesundheit sind präventive Maßnahmen entscheidend: Die WHO empfiehlt daher eine starke Einschränkung des Zuckerkonsums, flankiert durch gesetzliche Maßnahmen, wie die Einführung von Steuern auf zuckerhaltige Getränke und Nahrungsmittel oder die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für den Zuckergehalt von Produkten. Eine Schlüsselrolle bei der Reduzierung der Kariesprävalenz spielen zudem Fluoride. Um flächendeckend die Bevölkerung zu erreichen, empfiehlt die WHO die Fluoridisierung von Trinkwasser, Salz oder Milch und die Verwendung von fluoridhaltiger Zahnpasta.7