Deutsche Medizintechnikindustrie: Wachstum, aber zunehmende Herausforderungen
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Liebe Leserinnen und Leser,
Die deutsche Medizintechnikindustrie stellt sich 2022 wieder neuen Herausforderungen. Die Corona-Pandemie beschäftigt uns im dritten Jahr, viele Lieferketten sind massiv gestört, steigende Kosten und Preise fordern uns und die Märkte heraus, ohne verlässliche Energie geht auch bei uns nicht viel und zu alledem ist der bürokratisch-regulatorische Druck für den Standort Europa lähmend. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes besagen trotzdem Erfreuliches. Der Umsatz der in Deutschland ansässigen Medizintechnikunternehmen ist um 6,3 Prozent im Vergleich zum ersten Coronajahr 2020 auf 36,4 Milliarden Euro gewachsen. Getragen wurde der Zuwachs einmal mehr vom starken Auslandsgeschäft. Ob das Wachstum anhalten wird, muss sich erst noch zeigen. In der Medizintechnik besitzen wir ein seltenes Privileg: Diagnose und Heilung sind essenziell. Wenn wir aber unsere Innovationskraft am Standort Deutschland nicht deutlich stärken, verlieren wir global an Relevanz. Das muss auf allen Ebenen verstanden werden.
Die deutsche Medizintechnikindustrie ist eine eigenständige und hoch innovative Säule der industriellen Gesundheitswirtschaft, die nicht nur während der Corona-Pandemie ihre Leistungskraft deutlich unter Beweis gestellt hat, sondern tagtäglich einen enormen Beitrag für die Gesundheitsversorgung leistet. Sie stellt mit einer jährlichen Bruttowertschöpfung von rund 15 Milliarden Euro und deutlich über 255.000 Beschäftigten einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar.
Aktuell ist der mittelständisch geprägte Medizintechnik- und Innovationsstandort Deutschland mehr denn je unter Druck: Lieferkettenstörungen, steigende Material-, Energie- und Logistikkosten, die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und ein insgesamt schwieriges konjunkturelles Umfeld belasten das Geschäft. Hinzu kommen zunehmend komplexe und bürokratische Nachhaltigkeitsanforderungen gepaart mit abzusehenden stofflichen Verboten oder Einschränkungen. Dies stellt für viele Unternehmen eine wirtschaftliche Extremsituation dar, die nicht nur zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen kann, sondern auch die Versorgungssicherheit mit Medizinprodukten in Frage stellt.
Wäre das nicht schon genug, so bringt die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) viele, nicht nur kleinere Hersteller, an ihre Belastungsgrenze und schadet massiv der Innovationskraft der Branche. Laut einer gemeinsamen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) mit Medical Mountains und SPECTARIS werden viele Medizinprodukte als Folge der MDR schon jetzt vom Markt genommen, zahlreiche weitere bis 2024. Insbesondere droht vielen Nischenprodukten das Aus, weil sich die steigenden Aufwände für kleine Stückzahlen nicht rechnen. Versorgungsengpässe in bestimmten Bereichen sind abzusehen. Auch Ärzteorganisationen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) schlagen deswegen Alarm.
Als Medizintechnik-Verband hat sich SPECTARIS in den letzten Monaten stark dafür eingesetzt, dass in Brüssel doch noch Lösungen gefunden und umgesetzt werden, um diese Herausforderungen abzufedern. Wir haben dazu sehr konkrete Vorschläge gemacht. Noch können diverse Bremsklötze im System gelöst werden. Nun ist die Politik an der Reihe, die Zeit drängt. Wenn wir politisch denken, sollten wir das übergeordnete Patientenwohl zum Maßstab nehmen. Das heißt, den eindimensionalen Blick auf die Patientensicherheit aufzuweiten und als zusätzliche Dimensionen Innovation, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit mitdenken.
Bei unseren zahlreichen Gesprächen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene hat sich einmal mehr gezeigt, dass unsere Stimme in der politischen Diskussion gehört und auch deswegen besonders geschätzt wird, weil SPECTARIS sachlich fundiert und mit belastbaren Fakten unterlegt Themen aufbereitet und entsprechend vertritt. So wie Sie sich als Mitglied auf den Verband verlassen können, so verlässlich ist unsere Position für unsere Gesprächspartner in Politik und Verwaltung.
Es hat uns sehr gefreut, im Koalitionsvertrag zu lesen, sich für HighTech-Medizintechnik “Made in Germany” einzusetzen. Am Ende sollte es um den Industriestandort und das Patientenwohl gehen. Daran muss sich der Gesetzgeber messen lassen, der die Rahmenbedingungen definiert.
Auch in diesem Jahrbuch wird wieder ein Potpourri an Herausforderungen und Themen der MedTech-Branche aufgegriffen. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Lektüre und würde mich sehr freuen, Sie demnächst auch in den Reihen der Mitstreiter für bessere Rahmenbedingungen für unsere Medizintechnikbranche begrüßen zu dürfen.
Für die vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit danke ich Ihnen, lieben Mitgliedern, allen Lesern und Partnern.
Ihr Dr. Martin Leonhard
Vorsitzender Medizintechnik im Deutschen Industrieverband
SPECTARIS