Deutsche Medizintechnikindustrie: Wachstum mit Schattenseiten
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Liebe Leserinnen und Leser, es ist mir eine Freude, Sie im aktuellen Medizintechnikjahrbuch zu begrüßen.
Die deutsche Medizintechnikindustrie hat im Jahr 2023 einen beachtlichen Umsatz von 40,4 Milliarden Euro erwirtschaftet, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Dies entspricht einem nominalen Zuwachs von 5,1 Prozent. Jedoch stiegen die Erzeugerpreise um 5,9 Prozent, was zeigt, dass die Ertragslage vieler Unternehmen aufgrund der hohen Kosten in allen Bereichen zunehmend unter Druck gerät. Die Zahl der Beschäftigten in der Branche stieg um ein Prozent auf 161.400.
Unsere Befürchtungen haben sich leider bestätigt: Trotz des Umsatzwachstums kämpfen viele Medizintechnikunternehmen mit den steigenden Kosten. Eine aktuelle Studie von Roland Berger zeigt, dass sich Unternehmen verstärkt auf die Verbesserung ihrer Ertragslage konzentrieren, um diesen Kostensteigerungen entgegenzuwirken.
Der Umsatzanstieg 2023 resultierte maßgeblich aus dem positiven Auslandsgeschäft, das um rund sechs Prozent auf knapp 27,4 Milliarden Euro wuchs. Besonders erfreulich entwickelten sich die Exporte in andere EU-Länder (+10 Prozent) sowie in die USA (+4 Prozent), nach wie vor dem wichtigsten Zielland der deutschen Medizintechnik. Im Vergleich dazu blieben die Exporte nach China mit einem Plus von 1,5 Prozent relativ schwach. Inzwischen werden mehr als zwei Drittel des Branchenumsatzes im Ausland erwirtschaftet. Auch in den kommenden Jahren wird das internationale Geschäft eine tragende Rolle spielen. Frost & Sullivan prognostiziert bis 2027 ein jährliches Wachstum des Weltmarktes für Medizintechnik von fünf Prozent.
Das Inlandsgeschäft hingegen bleibt herausfordernd. Mit 13 Milliarden Euro lag der Inlandsumsatz nur um drei Prozent über dem Wert von 2022. Besonders problematisch ist die finanzielle Schieflage vieler deutscher Kliniken. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verzeichnete bereits Ende 2023 deutlich mehr Insolvenzen als üblich und erwartet für 2024 ein Rekordinsolvenzjahr. Auch bei den Pflegeeinrichtungen zeigt sich ein ähnliches Bild. Der seit Jahren existierende Investitionsstau im Krankenhaussektor findet damit leider seine Fortsetzung.
Deutschland muss wieder zu einem attraktiven Gesundheitsstandort und Leitmarkt für Medizintechnik werden. Dafür setzen wir uns bei SPECTARIS ein! Lichtstreifen am Horizont sind Initiativen in Richtung einer MDR 2.0, vereinfachte Anforderungen an gewisse Orphan Devices, eine Klarstellung hinsichtlich von Ethylenoxid als produktionstechnischem Hilfsstoff und endlich auch Signale hinsichtlich der breiteren Verwendung elektronischer Gebrauchsanleitungen bei professionellen Nutzern. Unsere Anstrengungen tragen also durchaus Früchte. Unter dem Strich müssen sich die Rahmenbedingungen noch viel deutlicher und in größerem Rahmen verbessern, um als Standort relevant zu bleiben. Zwischenzeitlich zitiert uns schon die Kommissionspräsidentin, dass die Kosten des Scheiterns Europa als Standort zurückwerfen. Auch wenn der regulatorische und bürokratische Aufwand für alle Marktteilnehmer gleich ist, so kann jeder für sich entscheiden, wo er global bei Innovationen das Risiko des Scheiterns eingehen möchte und zuerst in den Markt geht. Dieses Risiko des Scheiterns einzugehen, ist mit unternehmerischem Handeln und Innovation eng verbunden.
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die Bedeutung der industriellen Gesundheitswirtschaft erkannt und den Round Table Gesundheitswirtschaft ins Leben gerufen, um den Standort der Branche zu stärken und wettbewerbsfähig zu halten. Bis jetzt hat der Round Table insbesondere der Bestandsaufnahme gedient, sodass wir heute kein Erkenntnisdefizit mehr haben. Jetzt muss es aber darum gehen, die Schwächen in der Umsetzung zu beseitigen. Daher ist eine Fortsetzung zwingend notwendig, auch wenn der Bundeswirtschaftsminister mitunter nur sehr geringen Gestaltungsspielraum in der Gesundheitswirtschaft hat. Vor allem aber brauchen wir nicht immer noch mehr neue Strategien – keine Bundesregierung hat mehr Strategien ins Leben gerufen als die aktuelle – und Projekte, sondern müssen jetzt endlich an die konkrete Umsetzung gehen. Wir bei SPECTARIS, wie auch die anderen Verbände des Round Table, wünschen ein klares Bekenntnis des Bundeswirtschaftsministers und der Bundesregierung zur deutschen industriellen Gesundheitswirtschaft. Das fehlt und erklingt nur manchmal und eher verhalten. Es gilt, beschlossene Gesetze umzusetzen, zu prüfen, wo es hakt, und nachzubessern, anstatt alles neu gesetzlich zu regeln.
Wir werden zur 2025 anstehenden Bundestagswahl Vorschläge der Medizintechnik für die anstehende Legislatur einbringen. Wir möchten Sie ermutigen, gern auch gemeinsam mit SPECTARIS, in den unterschiedlichen Bundesländern unsere Bedeutung und unsere Erwartungen an die Politik einzubringen. Eine wichtige Rolle in der deutschen Gesundheitsversorgung kommt auch dem Hilfsmittelbereich zu. Etwa ein Viertel der rund 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherten benötigt früher oder später ein medizinisches Hilfsmittel und mehr als vier Millionen Menschen werden zu Hause gepflegt. Daraus resultieren aktuell ca. 30 Millionen Hilfsmittelversorgungen. Über 71.000 Hilfsmittel- Leistungserbringer stellen eine qualitätsgesicherte Versorgung sicher und unterstützen damit den Anspruch von Versicherten auf eine möglichst hohe Lebensqualität im täglichen Leben. Damit die Versorgungsqualität und die wohnortnahe Versorgung mit Hilfsmitteln gemäß dem Sachleistungsprinzip und der Wahlfreiheit weiterhin gewährleistet werden können, sieht SPECTARIS Handlungsbedarf. Anfang des Jahres haben wir Empfehlungen für eine verbesserte Hilfsmittelversorgung und zum Abbau von Bürokratie in der Hilfsmittelversorgung vorgelegt – inklusive eines konkreten Vorschlags, wie man Kostensteigerungen in Hilfsmittelversorgungsverträgen besser abbilden kann. Auch darüber berichten wir ausführlich im Jahrbuch.
Mit diesen Gedanken wünsche ich Ihnen eine aufschlussreiche Lektüre und viel Erfolg in diesen turbulenten Zeiten.
Herzliche Grüße
Ihr
Dr. Martin Leonhard
Vorsitzender Medizintechnik
im Deutschen Industrieverband
SPECTARIS