Spitzenmedizin trifft auf ungesunde Lebensgewohnheiten: Deutschland im europäischen Gesundheitsvergleich

Spitzenmedizin trifft auf ungesunde Lebensgewohnheiten: Deutschland im europäischen Gesundheitsvergleich

Das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) hat im April eine Studie zu Kennzahlen verschiedener Gesundheitssysteme in Europa veröffentlicht. Die Analyse vergleicht Gesundheitsdaten von zehn europäischen Ländern (Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweiz, Tschechien) untereinander und mit dem EU-Durchschnitt.

Beim Zugang zur medizinischen Versorgung nimmt Deutschland auf Rang eins eine deutlich führende Stellung ein. In dieser Kategorie wirken sich insbesondere der umfangreiche Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, geringe Zuzahlungen sowie kurze Wartezeiten auf Arzttermine positiv aus. Daneben ist Deutschland auch bei der Verfügbarkeit von innovativen Arzneimitteln europäischer Spitzenreiter.

Bei den zentralen Gesundheitsergebnissen bleibt Deutschland – in Anbetracht der strukturellen Vorteile – jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Grund hierfür ist der stark verbreitete ungesunde Lebensstil. Das WIP hat in seiner Studie erkannt, dass der auffällig hohe Bedarf an medizinischen Leistungen in engem Zusammenhang mit vermeidbaren Risikofaktoren steht.

Verhaltensbedingte Risikofaktoren: Deutschland auf dem letzten Platz

Besonders der Alkoholkonsum ist alarmierend. 30% der Deutschen ab 18 Jahren konsumieren mindestens einmal im Monat eine Menge Alkohol, die als Rauschtrinken gilt. Damit liegt Deutschland weit über dem EU-Durchschnitt von 19%. Auch der Pro-Kopf-Konsum von Alkohol ab 15 Jahren liegt mit 10,6 Litern über dem EU-Durchschnitt von 10 Litern. Im Vergleich dazu wird am wenigsten Alkohol in Norwegen (6,6 Liter) und am meisten in Tschechien (11,6 Liter) konsumiert.

Auch in puncto Ernährung offenbart die Analyse gravierende Defizite. Der Konsum von Zucker und Fetten überschreitet systematisch über alle untersuchten Länder hinweg die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, während der Verzehr gesunder Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte unterdurchschnittlich bleibt. Deutschland erreicht in keiner der genannten Kategorien die Empfehlungen der WHO und liegt zudem schlechter als der europäische Durchschnitt.

Im Bereich körperliche Aktivität zeigen sich ebenfalls Schwächen: Nur rund 50% der deutschen Erwachsenen erfüllen die WHO-Vorgaben zur Bewegungsdauer von wöchentlich 150 Minuten moderater oder 75 Minuten intensiver Bewegung. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld. Bei den Jugendlichen erreichen in Deutschland nur 16% der Jungen und 8% der Mädchen die WHO-Empfehlung zur Bewegungsdauer von 60 Minuten pro Tag.

Folgeerscheinung: Übergewicht als Volkskrankheit

Diese ungünstigen Lebensstilmuster manifestieren sich in einer hohen Prävalenz von Übergewicht und Adipositas. 53% der erwachsenen Deutschen sind übergewichtig oder fettleibig – etwas mehr als im europäischen Durchschnitt (51%). Auch bei Jugendlichen zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Mit 21% bewegt sich Deutschland hier im Durchschnitt der verglichenen Länder. Diese Entwicklung stellt nicht nur ein gesundheitliches, sondern auch ein gesundheitspolitisches Problem dar, das die medizinischen Versorgungssysteme langfristig erheblich belastet.

 

Kommentar:

Die Ergebnisse der WIP-Analyse offenbaren ein Spannungsfeld im deutschen Gesundheitssystem: Zwar verfügt Deutschland über eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme Europas – dennoch werden grundlegende gesundheitliche Ziele verfehlt.

Tab. 1: Gesundheitskennzahlen im Länderranking

DänemarkDeutschlandFrankreichGroßbritannienItalienNiederlandeNorwegenÖsterreichSchweizTschechien
Zugang zur Gesundheitsversorgung91437210567
Gesundheitsergebnisse973102546111
Risikofaktoren für die Gesundheit711844329110

Quelle: WIP, Darstellung: REBMANN RESEARCH

Dies zeigt, dass medizinische Exzellenz allein nicht genügt, um die Gesundheit der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern. Um die Situation zu optimieren, bedarf es umfassender Präventionsstrategien, die am gesundheitsförderlichen Verhalten der Bevölkerung ansetzen. Andernfalls droht das deutsche Gesundheitssystem – trotz seiner strukturellen Leistungsfähigkeit – an den Folgen von vermeidbaren Erkrankungen zu scheitern.

Quelle: WIP – Zugang zur Gesundheitsversorgung, Gesundheitszustand und Risikofaktoren – Das deutsche Gesundheitssystem im europäischen Vergleich

Autor Fanny Mauch
Arrow right icon