Für internationale Tech-Konzerne ist der (deutsche) Gesundheits- bzw. Apothekenmarkt interessant
Sowohl Apothekenkooperationen (Newsserie Teil 4 vom 17.4.2025) als auch Versandapotheken (Newsserie Teil 2 vom 7.3.2025) fürchten die Konkurrenz durch ungleich größere Handels- oder Internetgiganten, zuvorderst Amazon, wo auch in Deutschland mit 55 Mio. Kunden (die regelmäßig Amazon nutzen) – bislang! – Arzneimittel bestellt werden können. In den USA will der Konzern laut eigenen Angaben den Gesundheitsmarkt neu erfinden, im Vordergrund steht der Auf- und Ausbau einer auf Endverbraucher fokussierten digitalen Gesundheitsplattform: Es gibt Medikamente unter Eigennamen, eine Flatrate für Rx-Arzneien, eine eigene Amazon Pharmacy Online-Apotheke, die – erst 2020 gegründet – bereits Nummer 2 im US-Markt ist, und 2023 wurde der Klinikbetreiber und (!) Telemedizin-Anbieter One Medical für 3,5 Mrd. $ übernommen. Seither wird das Dienstleistungsspektrum entsprechend ausgebaut (z.B. Medikationsanalysen; spezifische Prime-/Mitgliedschaften, z.B. 24h virtueller ärztlicher Bereitschaftsdienst und schnellere Arzttermine vor Ort gegen eine Jahresgebühr in Höhe von 200 $) und es wird in KI-Forschung, kommunale Gesundheitsdienste sowie Logistikprojekte investiert (Same-day-Delivery, Zustellung per Drohne etc.). 2020 hat sich das Unternehmen die Rechte an der Marke ‚Amazon Pharmacy‘ für die gesamte EU gesichert, weswegen davon ausgegangen wird, dass Amazon mittelfristig Interesse an einer der (großen) europäischen Versandapotheken haben könnte.
Bei Apothekenprodukten belegt Amazon bereits den 4. Platz
Gemäß der Münchner Unternehmensberatung Smile.BI könnte Amazon binnen drei Jahren Marktführer in Deutschland werden (Quelle: ‚Amazon-Studie 2024‘ vom Februar 2024); bereits heute belegt Amazon gemäß eines Handelsblatt-Rankings hierzulande den 4. Platz unter den ‚Online-Apotheken‘ mit einem Umsatz in Höhe von über 350 Mio. Euro (bezogen auf Apothekenprodukte in 2024 über die dort gelisteten Shops, denn Amazon besitzt bislang keine eigene Apotheke).
Im ersten Quartal 2025 hat Amazon in Mailand einen Beauty & Health Store eröffnet, es werden dort aber auch OTC-Arzneien und Gesundheitsservices angeboten, wie digitale Hautanalysen an den sog. ‚Derma-Bars‘. Besonders interessant daran: Es ist der erste physische Amazon-Store in Kontinentaleuropa und der erste Store weltweit von Amazon, der sich auf Gesundheit und Schönheit konzentriert. Als sog. Parafarmacia, das ist eine spezielle italienische Einzelhandels- oder eben auch Apothekenform, dürfen dort auch OTCs verkauft werden. Aus der (italienischen) Pressemitteilung von Amazon heißt es dazu: „Dank dieser Eröffnung werden wir unser Online-Angebot an Schönheits- und Körperpflegeprodukten in allen Amazon-Filialen in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien im Laufe des Jahres 2025 erweitern.“
Rechtlicher Klärungsbedarf hoch – viel zu tun für Juristen!
Die Digitalisierung und damit einhergehend neue (Geschäfts-)Modelle und branchenfremde Player in einem regulierten bzw. reglementierten Markt führen jedoch auch zu neuen Fragestellungen, insbesondere rechtlicher Natur,
- z.B. ist die Freie Apothekerschaft Anfang des Jahres juristisch gegen eBay sowie eine Facebook-Gruppe (mit dem Namen ‚Medikamentenflohmarkt‘) vorgegangen – dort wurden rezeptpflichtige Arzneimittel von (Privat-)Verkäufern angeboten und verkauft, ein klarer Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz.
- In einem wichtigen Urteil des EuGH vom Februar 2025 ging es wieder einmal um Rx-Boni von DocMorris, direkte Preisnachlässe seien demnach möglich, jedoch nicht, wenn die Ermäßigung für nachfolgende Einkäufe genutzt werden (das käme einer unzulässigen Werbung für verschreibungspflichtige Arzneien gleich).
- In einem weiteren Verfahren – wieder ist DocMorris beteiligt – dürfen sich deutsche Richter voraussichtlich höchstinstanzlich erneut mit Transaktionsgebühren beschäftigen (DocMorris verlangte von seinen Marktplatz-Apotheken 10% Provision bei OTC-Arzneien).
Aktuell: Amazon wurde vom Bundesgerichtshof ausgebremst!
Besonders brisant für Amazon ist ein jüngstes Urteil vom März 2025, wonach der Bundesgerichtshof den Verkauf von Arzneimitteln über die Plattform untersagte, da ein solcher der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) widerspräche. Diese erfordert eine ausdrückliche Einwilligung der Käufer hinsichtlich der Erhebung der Bestell- /Gesundheitsdaten. Da ein solcher Prozess bislang nicht über Amazon abgebildet werden kann, sind entsprechend alle gelisteten Shops/Apotheken betroffen. Bei Verstößen drohen Strafen bis zu 250.000 Euro – es wundert folglich nicht, dass bereits viele Apotheken Amazon verlassen haben, nachdem sie entsprechende Abmahnungen erhalten haben – eine Abgabefrist für eine Unterlassungserklärung lief zum 28. April aus. Apodiscounter hingegen – der bislang größte OTC-Händler auf Amazon, ist (Stand Mitte Mai) noch immer auf der Plattform aktiv. Es dürfte jedoch eine Frage der Zeit sein, bis eine entsprechende DSGVO-konforme Lösung implementiert ist – jedoch müssen dann die Apotheken bzw. deren Kunden wieder für bzw. von Amazon zurückgewonnen werden. Oder treibt das eher die Übernahmebemühungen einer bereits bestehenden Versandapotheke an?
Start-ups, Lieferdienste & Co. – alle wollen im Apothekenmarkt mitmischen
Mit einem weiteren interessanten Fall beschäftigte sich der Bundesgerichtshof (in letzter Instanz) im März dieses Jahres: Darf eine Apotheke über Lieferservices an Sonn- und Feiertagen Arzneimittel ausliefern, selbst wenn die entsprechende Apotheke keinen Nacht- und Notdienst hat? Der BGH verneint tendenziell, u.a. aufgrund von Formfehlern wurde jedoch kein Urteil gefällt, sondern an das Landgericht zurückverwiesen. Generell sind Lieferdienste relativ neue Player in der Branche, sie hoffen auf das Geschäft mit der ‚letzten Meile‘ zwischen Bestellung und Belieferung der Kunden mit Arzneien. An den meisten dieser Geschäftsmodelle gibt es jedoch nicht nur juristische, sondern auch wirtschaftliche Bedenken: Kurando und Mayd sind mittlerweile pleite, First A wurde von der Shop-Apotheke übernommen, Cure kooperierte zunächst mit dem norwegischen Essens- und Lebensmittellieferanten Wolt, seit Herbst 2024 ist Cure jedoch Kooperationspartner des Konkurrenten Lieferando. Seither können in 18 Städten über 60 kooperierende Apotheken ausgewählte Apothekenprodukte bestellt und geliefert werden. Der niederländische Konzern (Lieferando gehört zu Just Eat Takeaway) startete zuvor entsprechende Pilotprojekte in den USA und Großbritannien.
Insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung, der Einführung des eRezepts und der Bedeutung der hiesigen Gesundheitsbranche drängen neben den Lieferdiensten weitere Player in den Markt, aus dem Handel kommend oder der Digitalbranche, aber auch Start-ups, Verlage, Abrechner o.Ä. wollen mitmischen:
Medizin im Supermarkt – auch in Deutschland?
Das Start-up Medivise – geführt u.a. von einem früheren Noventi-Vorstand – bietet Videosprechstunden in mobilen Boxen an, die entsprechend mit weiteren Modulen (z.B. Geräten für Diagnostik) ausgestattet werden können. In einem ersten Pilotprojekt kommt die Box ab Ende April für kindernotärztliche Versorgung zum Einsatz (als Kooperationsprojekt mit der KV). Es sollen weitere Boxen an Krankenhäusern (um die Notarztaufnahmen zu entlasten) und auch in einem Supermarkt folgen. Letzteres, sprich die Medizin, kommt dorthin, wo die Menschen sind und nicht andersherum. Interessant sind neben Super- und Drogeriemärkten (mit entsprechender Verknüpfung zu OTC und/oder Versandapotheken) künftig auch Apothekenstandorte für die Box – denn dort könnten dann verordnete Arzneimittel direkt gekauft werden. Gerade in Regionen, die ärztlich unversorgt sind, könnten damit Apotheken eine weitere Rolle bei der Gesundheitsversorgung einnehmen.
Ob es bis Ende 2026 tatsächlich bereits 1.000 Boxen geben wird, wie von der Geschäftsführung gewünscht, dürfte fraglich sein.
Kommentar:
Deutschland ist bereits heute ein wichtiger Absatzmarkt für die GAFAs & Co. – gleichzeitig der größte und umsatzstärkste Markt auch für Arzneimittel und Gesundheit in Europa. Mit der Digitalisierung werden zudem künftig stärkere Vernetzungen der Sektoren sowie der unterschiedlichen Gesundheitsakteure einhergehen. Das wird auch weiterhin zu Innovationen und neuen Geschäftsideen führen, die nur schwer zu prognostizieren sind. Die Apple Health App beispielsweise bietet längst Medikationspläne bzw. Einnahmeerinnerungen etc. an, ab 2026 soll Apple Health+ KI-gestützt personalisierte Gesundheitsvorschläge machen können – wer weiß schon, wie das weitergehen wird?!
Siehe auch News vom 13.1.2021
Dies war Teil 5 der Newsreihe zu Playern und Entwicklungen im Apothekenmarkt. Weitere News sind:
TEIL 1: Das Online-Geschäft mit Arzneimitteln – Hintergründe und Wissenswertes (siehe News vom 5.2.2025)
TEIL 2: Ausländische Unternehmen dominieren den Versandhandel mit Arzneimitteln in Deutschland (siehe News vom 7.3.2025)
TEIL 3: Einzelhändler hoffen auf Zusatzgeschäft mit Arzneimitteln – amerikanische Drugstores auch bei uns? (siehe News vom 14.3.2025)
TEIL 4: Apothekenkooperationen & Apothekenplattformen – wer steckt dahinter? (siehe News vom 17.4.2025)
TEIL 5: Sonstige Player – steigt Amazon in den Apothekenmarkt ein?
Quellen:
- Jeweilige Homepages der genannten Firmen (insbesondere Pressemitteilungen)
- Pharmazeutische Zeitung – Amazon: OTC-Verkauf in Beauty & Health Store
- Frankfurter Allgemeine – Amazon-Laden in Mailand
- Smile AI – Amazon-Studie 24
- Pharmazeutische Zeitung – Rechtswidrige Arzneimittelangebote im Netz gelöscht
- Handesblatt – E-Rezept stärkt Dominanz der ausländischen Online-Apotheken
- WirtschaftsWoche – Mit 33 Millionen Euro im Minus: Medikamenten-Lieferant Mayd ist pleite
- Pharmazeutische Zeitung – Wolt integriert Apothekenplattform Cure
- Wolt – Medikamente direkt nach Hause liefern lassen: Wolt integriert Apotheken-Plattform CURE
- WDR – Startup aus Köln testet Medikamenten-Lieferung per Drohne
- Deutsche Apotheker Zeitung – Pilotprojekt zur Drohnenlieferung von Arzneimitteln
- Deutsche Apotheker Zeitung – Lieferando und Cure kooperieren bei Arzneimittel-Lieferungen
- Bundesgerichtshof – Urteil vom 6.3.2025, Az. I ZR 20/24
- Pharmazeutische Zeitung – Telemedizin-Projekt in der Apotheke
- apotheke adhoc – Amazon holt OTC-Versender zurück
- Deutsche Apotheker Zeitung – EuGH: Verbot von DocMorris-Gutscheinen ist zulässig
- apotheke adhoc – Videosprechstunde: Arztkabine für Apotheken – und Discounter