Apotheken können künftig von Kassen vergütete pharmazeutische Dienstleistungen anbieten

Apotheken können künftig von Kassen vergütete pharmazeutische Dienstleistungen anbieten

Der 10.6.2022 ist ein bedeutender Tag für die Apothekerschaft, denn seither ist endlich klar, wie und welche pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) von den ApothekerInnen und weiterem Apothekenpersonal erbracht bzw. von den Kassen vergütet werden. Die gesetzliche Basis war bereits 2020 gelegt worden mit dem Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetzes. Da sich der Deutsche Apothekerverband (DAV) und die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) jedoch nicht über die Modalitäten einigen konnten, musste im Herbst 2021 die Schiedsstelle involviert werden.

Welche Dienstleistungen werden vergütet?

Die entsprechenden Ergebnisse liegen nun seit Mitte Juni vor und sehen vor, dass Apotheken künftig bzw. ab sofort fünf verschieden vergütete Dienstleistungen anbieten dürfen:

  1. Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation
    (fünf oder mehr verordnete Arzneimittel in Dauermedikation)
  2. Pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie
    (neue Tabletten oder Kapseln)
  3. Pharmazeutische Betreuung von Organtransplantierten
  4. Blutdruckmessungen/Risiko-Screening
    (bei ärztlich diagnostiziertem Bluthochdruck und Einnahme von Blutdrucksenkern)
  5. Beratung zu Inhalativa/Inhalationstechnik (Device Schulung)
    (wenn gegen Atemwegs- oder Lungenerkrankung Medikamente zum Inhalieren eingenommen werden müssen z.B. bei Asthma Bronchiale oder chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen)

Wieviel Geld erhalten die Apotheken für die neuen Beratungsleistungen?

Für die ersten drei ATMS-Leistungen (Arzneimitteltherapiesicherheit) erhalten die Apotheken 90,00 Euro, die Beratung darf nur von ApothekerInnen erbracht werden, die eine entsprechende Fortbildung absolviert haben (sogenannte komplexe pharmazeutische Dienstleistungen). Im Falle der Organtransplantierten- und Krebs-Patienten (2&3) sind zudem 17,55 Euro für ein Folgegespräch nach zwei bis sechs Monaten vorgesehen. Die Blutdruckmessung und die Einweisung in die Inhalatoren kann auch vom pharmazeutischen Personal der Apotheke nach einer Standard-Einweisung durchgeführt werden (sogenannte einfache pDL). 11,20 Euro sind für die Blutdruckmessung und 20,00 Euro für die Device-Schulung vorgesehen. Die Preise sind netto, d.h. ohne MwSt, es darf jedoch davon auszugehen sein, dass auf diese Leistungen wie auch auf Arzneimittel oder Botendienste der Apotheken der volle Mehrwertsteuersatz fällig sein wird (im Gegensatz zu dem Corona-Test-Honorar, auf welches keine MwSt anfällt). Die Auszahlung der Vergütung erfolgt – bei entsprechender Meldung – mit der Notdienstpauschale am Ende eines Folgequartals.

Rechnen sich die neuen Dienstleistungen für die Apotheken?

ABER: Weil der Gesamttopf für die pDL budgetiert ist, greifen komplexe Anpassungsmechanismen, was bedeutet, dass die Apotheken erst ex-post wissen, wie hoch die konkrete Vergütung ihrer Beratungsservices ausgefallen ist (analog dem Nacht- und Notdienstfonds, wo auch erst am Ende des Folgequartals feststeht, wie hoch die Vergütung für die übernommenen Dienste war). Das Gesamtbudget eines Quartals bemisst sich anhand eines Zuschlags in Höhe von 20 Cent je abgegebenes rezeptpflichtiges Fertigarzneimittel, Prognosen gehen von einem Budget von ca. 2.000 Euro je Apotheke je Quartal aus. Wird in Summe von allen Apotheken weniger eingereicht als das Gesamtbudget hergeben würde, kommt der Rest in das Budget für das Folgequartal; werden jedoch mehr Dienstleistungen erbracht, bekommen die Apotheken

  • eine gesicherte Auszahlung von 100% für die ersten von ihnen eingereichten 1.000 Euro
  • Abschläge greifen dann ab 1.000 Euro gemäß einer Priorisierung; zuerst werden die Inhalationsservices gestrichen bzw. gekürzt (Stufe 3), dann die Blutdruckmessungen (Stufe 2) und dann die ATMS-Beratungen (Stufe 1).

Es kann also sein, dass die Apotheke für die Beratung zur Nutzung der Inhalatoren überhaupt kein Geld bekommt (wenn mehr als 1.000 Euro in Summe für alle pDL eingereicht wurden und der Gesamtbudgettopf nicht für die Abrechnungen aller Apotheken ausreicht). Für den Anfang ist jedoch nicht damit zu rechnen, da – aufgrund der Langwierigkeit der Verhandlungen – nicht ausgeschöpfte Budgets seit Mitte Dezember 2021 zur Verfügung stehen und nicht alle Apotheken sofort einsteigen werden. Für die komplexeren pDL bedarf es spezieller Fortbildungen nach Vorgaben der Bundesapothekerkammer und Zeit bei den approbierten ApothekerInnen ist knapp sowie ‚teuer‘. Generell – so eine Erhebung der DAZ – plant derzeit nur die Hälfte der Apotheken die vergüteten pharmazeutischen Beratungsleistungen anzubieten. Haupthinderungsgrund ist der Personalmangel.

Bei den hoch priorisierten (Stufe 1) und besser vergüteten Dienstleistungen ist zudem damit zu rechnen, dass nur in entsprechend spezialisierten Apotheken die Angebote auch wahrgenommen werden, z.B. in Apotheken, die Zytostatika oder andere individualisierte parenterale Lösungen herstellen. Es gibt nur etwa 300 solcher sogenannten ‚Compounder‘-Apotheken im Bundesgebiet.

 

Kommentar:

Kritische Reaktion der Ärzteschaft

Die Reaktion der Ärzte und ihrer Vertreter war sehr kritisch, wie bereits beim Thema Impfungen durch die Apotheken (z.B. gegen COVID19 oder Influenza), und folgte prompt; aus deren Sicht würden mit den pDL die Apotheken in ärztliches Hoheitsgebiet eingreifen, ohne dafür entsprechend qualifiziert zu sein und würden zudem mehr Honorar erhalten als die ÄrztInnen: nach der Verkündung des Schiedsspruchs reagierte z.B. die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mit einer Forderung nach Honorarerhöhung und nannte die Dienstleistungen „inhaltlich fragwürdig und teuer“, der MEDI-Verbund Baden-Württemberg sah darin eine „unverantwortbare Substitution ärztlicher Leistungen“, der Hessische Hausärzteverband kommentierte „Behandlungsqualität ist gefährdet“ und die Bundesärztekammer nutzte die Formulierung „Patienten sind keine Kunden und Apotheken keine Arztpraxen-to-go“.

Immer wieder prallen unterschiedliche Auffassungen von Ärzten und Apothekern hinsichtlich ihres Dienstleistungsportfolios aufeinander. Die Ärzteschaft befürchtet einen Eingriff in ihren Leistungskatalog. Die Apotheker hingegen argumentieren, dass sie ärztliche Versorgungsengpässe und lange Wartezeiten für Patienten abfedern könnten und zu einer verbesserten Versorgung bzw. mehr Arzneimitteltherapie-Sicherheit und Compliance beitragen. Aus Sicht eines Patienten bzw. vor demHintergrund einer Verbesserung der Versorgungsqualität wäre hier ein stärkeres ‚Miteinander‘ anstelle des ‚Gegeneinander‘ sowie mehr Intersektoralität/-disziplinarität wünschenswert.

Quellen:

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